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Ernst Bloch

Radikalisiert man Karl Popper wird man zu einem anderen Ergebnis kommen. Popper sieht als Merkmal totalitärer Staaten, dass sie eine Vorstellung einer "idealen" Gesellschaft haben und diesen idealen Zustand gewaltsam durchzusetzen versuchen, was auf eine Umformung der Gesellschaft nach ihren Vorstellungen gleichkommt.

Dabei lässt er zwei Fragen offen.

1) Er lässt offen, inwieweit nicht jeder und insbesondere jede Vorstellung einer "idealen" Wirtschaftsordnung einen solchen "Idealzustand" hypostasiert. Er muss also, impliziert tut er das, davon ausgehen, dass alle bereit sind, ihre Vorstellungen einer demokratischen Wahl zu unterziehen, was ja, zumindest in den westlichen Industrienationen, auch der Fall ist. Desweiteren muss er unterstellen, was in den westlichen Industrienationen ebenfalls der Fall ist, dass sich Parteien verändern. Was auch geschieht. Weniger vielleicht, weil Fehler und Irrtümer eingesehen werden, als aufgrund der schlichten Tatsache, dass Mehrheiten gefunden werden müssen. Wie die Korrektur aber genau funktionieren soll, lässt er offen. Wir sehen unmittelbar ein, dass der "ganz große Wurf" auf einen Hops mit Sicherheit in die Katastrophe führt. Aber wer gibt den vielen kleinen Schritten die Richtung? Und kann man die Richtung irgendwie verändern und wenn ja, wie?

Hinsichtlich der Auswahl totalitärer Systeme, nicht explizit ausgedrückt, aber implizit meint er den Nationalsozialismus und Stalinismus, schließt er sich einem allgemeinen Trend an, was für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nachvollziehbar ist. Praktisch alle Autoren die sich mit diesem Thema befassen, Hanna Arendt, Theodor W. Adorno, Friedrich A. Hayek, Walter Eucken, Ernst Bloch, Herbert Markuse fokusieren auf diese beiden Systeme.

Würde man Popper aber radikalisieren, könnte man auch der Meinung sein, dass jede Vorstellung, die den Wandel ausschließt, zu einer bestimmten Vorstellung von der Gesellschaft führt und Vorstellungen, die eine Stabilität hypostasieren und den Wandel ausschließen, gibt es nun massenhaft, auch heute. Wer für das dreigliederige Schulsystem plädiert, hat eine Vorstellung von der Gesellschaft. Entweder, weil er damit bestimmte Interessen durchsetzen will, oder weil er tatsächlich dran glaubt, siehe Karl Popper. Würde man den Philologenverband konkret fragen, ob er eine Million Euro wettet, dass nicht in fünfzig Jahren die Didaktik, das Umfeld, die Durchlässigkeit so geändert wird, dass schlicht jeder das Abitur machen kann, auf höherem Niveau als heute, dann würde der Autor mal eher vermuten, dass sie diese Wette nicht eingehen.

Wobei uns der deutsche Philologenverband auch nicht erklärt, wieso es beim Schulsystem, quasi genetisch determiniert, Grenzen gibt, die Ansprüche der Wirtschaft an die Ausbildung aber ständig steigen und erfüllt werden. Nach der Logik müsste es ja auch in der Wirtschaft eine genetische determinierte Grenze geben.

Auch die Pisa Studie hilft da nicht wirklich weiter. Befindet sich Deutschland im Mittelfeld, kann das auch daran liegen, dass in anderen Ländern die Bildungsvorausetzungen verbessert wurden. Deutschland ist also nicht abgestiegen, sondern die anderen sind aufgestiegen, was ja erstmal eine erfreuliche Tatsache ist, weil ein Land wie die Bundesrepublik, das Hight Tech exportiert, nur in Länder exportieren kann, die High Tech auch anwenden können.

Die gesamte Klassik / Neoklassik geht davon aus, dass Menschen nur über den Eigennutz dazu gebracht werden können, auch das gesamtwirtschaftlich Sinnvolle zu tun. Das will der Autor gar nicht bestreiten. Ein kurzer Anruf bei einer Behörde und einer entsprechenden Stelle bei einem mittelständischen Unternehmen reicht, um jeden hiervon zu überzeugen. Den Unterschied wird niemand bestreiten. Aber wer kann sagen, dass das auch noch in 100 Jahren so ist?

Poppers Ansatz wäre eigentlich allgemeingültiger gewesen, wenn er anders vorgegangen wäre und eine "Geschichte der vermeintlichen Stabilitäten" geschrieben hätte. Er hätte also auflisten können, was man in der bisherigen Menschheitsgeschichte schon so alles als ewig gültig betrachtet hat, obwohl die Haltbarkeitsdauer doch sehr beschränkt war. Es wurden schon "Rassen" als stabil mit bestimmten Eigenschaften ausgetattet bezeichnet, Nationen, technische Rahmenbedingungen, allgemein menschliche Verhaltensweisen, die Triebstruktur des Menschen, ökonomische Gesetze, etc. etc.. Tatsächlich ist von alldem nichts konstant geblieben. Konstant erscheint im übrigen nicht mal der Islam. Sowohl die Mehrheitsgesellschaft als auch die Vertreter islamischer Gruppen gehen hier von einer grundsätzlichen Stabilität aus. Der Autor würde eher vermuten, es ist eine Auseinandersetzung zwischen den fünfziger Jahren und dem Jahre 2013, denn wir kennen das alles schon. In den fünfziger Jahren waren Ehen zwischen Protestanten und Katholiken noch ungewöhnlich, die Leute marschierten brav in die Kirche, Ansichten über Mode, Sex etc. entsprachen weitgehend der islamischen Gruppen von heute. Auch die Auseinandersetzungen zwischen Suniten, Shiiten, Aleviten etc. etc. kenn wir schon aus dem Christentum. Die Fundamentaldebatten werden unter der Annahme geführt, dass wir hier etwas Stabiles vor uns haben, allerdings wird die These nirgends bewiesen.

Eine Islamkonferenz beinhaltet implizit schon gewisse Annahmen. Die Annahme nämlich, dass wir es mit einem konstanten Phänomen zu tun haben. Nur wenn man das Phänomen als konstant betrachtet, braucht man darüber reden. Hält man es für ein ephemeres Problem, ergibt sich die Relevanz nicht, denn dann löst sich das Problem von alleine. Würde man eine Modernisierungskonferenz veranstalten, ging man von ganz anderen impliziten Annahmen aus.

Die einzige Konstante der Weltgeschichte ist der Glaube an Konstanten. Nur wenn der technische Fortschritt in kurzer Zeit zu brutalen Änderungen führt, löst sich die Festung aus festen Glaubensgrundsätzen langsam auf. Wenn google morgen vermeldet, dass er einen Shop im Netz hat, wo man Cola Dosen bestellen kann, die dann in das Schubfach des CD Laufwerks gebeamt wird, würden wahrscheinlich die Leute nur noch "na endlich" sagen. Wundern würde sich niemand mehr. Wenn morgen eine Forschergruppe vermeldet, dass sie Organe mit Stammzellen nachzüchten kann, wäre der Kommentar wahrscheinlich auch nur noch "das hat aber lange gedauert".

Bei "Ideen" braucht das relativ lange. Die Demokratie zum Beispiel hat gut 2800 Jahre gebraucht, um sich als die ideale Regierungsform durchzusetzen.

2) Wir bräuchten also noch eine Anleitung wie a) neue Inhalte in die Welt kommen und b) wie man diese bewertet. Damit beschäftigt sich Ernst Bloch in "Das Prinzip Hoffnung", volle 1600 Seiten lang. Bloch selbst sieht sich in marxistischer Tradition, allerdings sah man das in der DDR nicht so, sein Gastspiel als Professor in Leipzig währte nicht allzu lange. Nach dem Ungarn Aufstand und dessen Niederschlagung durch die Sowjetunion wurden Blochs kritische Äußerungen hierzu nicht gouttiert. Er wurde 1957 seines Amtes enthoben. Das ist wohl das erste und letzte Mal, wo der Autor tatsächlich mit den Chefideologen des real existierenden Irrenhauses übereinstimmt. Bloch war nicht linientreu. Der Autor kann auch nicht erkennen, was an Bloch marxistisch sein soll, auch wenn dieser sich als Marxist bezeichnet. Der Marxismus kennt einen Endzustand. Dass wir diesen überhaupt nicht kennen können, ist die zentrale Aussage von Ernst Bloch. Der Unterschied zwischen Popper und Bloch besteht darin, dass Popper diese Nichtkenntnis schlicht als Tatsache hinnimmt. Bloch versucht die Zukunft einzukreisen. Das findet der Autor ehrlich gesagt nicht mal so radikal. Zwar zitieren alle Leute immer wieder das hirnrissige Bonmot von Helmut Schmidt, "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", allerdings müssten wir dann alle zum Arzt gehen. Es gibt kein Leben ohne Visionen. Wer keine "Visionen" hat, ist tot. Die Visionen können trivial sein, sie können langweilig sein, sie können den utopischen Horizont einer Kochsendung haben, aber Visionen hat jeder.

Auch Fragen wie die nach dem Sinn des Lebens, die ja als äußerst stabil angesehen wird, sind keineswegs stabil. Für Dante ist das Leben eine Vorbereitung auf die Hölle oder auf das Paradies. Erstere beschreibt er ganz anschaulich, bei letzterer verliert er sich in scholastischen Begrifflichkeiten, was naheliegend ist. Man kann sehr schlecht irgendetwas Sinnvolles zu etwas sagen, was man gar nicht kennt. Die Vorstellung von einem Paradies im Jenseits scheint eine äußerst stabile Vorstellung zu sein, allerdings kann sich das ändern, wenn das jenseitige Paradies im Vergleich zu den hiesigen Zuständen blass aussieht, bzw. niemandem mehr irgendetwas einfällt, was im jenseitigen Paradies attraktiver ist als im diesseitigen. Die neue Frage wäre dann, wie lang die Party dauert, über den Sinn des Lebens würde niemand mehr nachdenken.

Die Sinnfrage ist überhaupt ein skurriler Fall. Die Frage nach dem Sinn des Lebens zielt in der Regel nicht darauf ab, wie man das Leben so umgestaltet, dass es sinnvoll ist, sondern stellt die Frage absolut unter Zugrundelegung eines status quo.

Die Frage, die sich jetzt so mancher stellt, ist die: Was hat das mit Volkswirtschaft zu tun? Die Frage stellt, wer Volkswirtschaft als einen Bereich sui generis ansieht, der mit dem Rest der Gesellschaft nichts zu tun hat. So Leute glauben dann auch, dass sich mit denselben Instrumenten und Theorien die Wirtschaft in der BRD und in Peru analysieren lassen, die wirtschaftliche Entwicklung des Mittelalters durch diese Theorien genau so erklärt werden kann, wie die wirtschaftliche Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg, behauptet also, dass die Wirtschaft ein abgeschlossenes System ist, wie die Umwandlung von ADP in ATP in den Mitochendrien. Wer das glaubt, gehört ins Irrenhaus und sein einziger Trost ist die Tatsache, dass es viele Irre gibt, nicht nur unter den Ökonomen. Ob eine Gesellschaft die Vision hat, ein Land zu erobern, weil man an dessen Kohlevorkommen ran will oder ob ein Land die Vision hat, Energie aus Windmühlen zu gewinnen, macht schon einen Unterschied, das kann man kapieren, das ist nicht schwierig. Bei durchaus mittelmäßiger Intelligenz kann man auch kapieren, dass es wenig sinnvoll ist, "Lebensraum im Osten" zu erobern, wenn man für die dann agraisch nicht nutzbaren Flächen Subventionen für die Nichtnutzung bezahlen muss, wie die EU dies tut. Was also vor 80 Jahren äußerst logisch erschien, ist aus heutiger Sicht kompletter Schwachsinn.

Zumindest dann, wenn die technologische Entwicklung den Horizont verschiebt, kapiert das jeder. Schwieriger wird es, wenn der utopische Horizont nicht knallhart durch technische Innovationen verschoben wird. Allein technische Innovationen haben die Kraft, den Glauben an die Stabilität zu zertrümmern. Obwohl wir schon seit ein paar Tausend Jahren immer wieder lernen, dass ethnische Gruppen sich verändern, Nationen sich verändern, Menschen sich verändern finden wir zum Beispiel immer wieder Aussagen, dass irgendwelche Gruppen irgendwie sind. Das Problem ist wohl, dass "geistige" Entwicklungen, also Meinungen, Verhaltensweisen, Qualifikation etc. sich relativ langsam und schleichend verändern, von daher nicht wahrgenommen werden. Technische Innovationen kommen mit brutaler Wucht und sind unmittelbar wahrnehmbar.

Das könnte auch den Umstand erklären, dass Ingenieure inzwischen auch die "geistige" Entwicklung wesentlich schneller vorantreiben, als "Geisteswissenschaftler". Während Geisteswissenschaftler und Ökonomen fest an die Stabilität glauben und der Wert ihres "Wissens" aus der Stabilität resultiert, sie labern dann irgendwas von "historischem Bewußtsein", Persönlichkeitsbildung, Latein als Kulturmittler und ähnlichem Blödsinn, zielen Ingenieure auf die Durchbrechung der Stabilität. Der status quo interessiert sie nicht, sie verdienen ihr Geld mit der Veränderung.

In dieser Hinsicht ist auch die Bewertung Poppers der hegelschen Philosophie kritischer zu bewerten. Man kann aus Hegel auch andere Dinge rauslesen. Zum einen, dass das Bewußtsein durch und durch von dem "gesellschaftlichen Ensemble" durchdrungen ist (Adorno) zum anderen, dass es nur wenig gibt, was im Zeitverlauf stabil bleibt (Bloch). Dass die hegelsche Philosophie etwas sehr "flexibel" war, Napoleon war ja bekanntlich der Weltgeist zu Pferde, aber nachdem dieser auf St. Helena sein Dasein fristete, erfuhr der Weltgeist im preussichen Staat seine Vollendung (was er ja nicht hätte tun können, wenn der Weltgeist zu Pferde die Schlacht bei Waterloo gewonnen hätte). Da uns Popper aber auch nicht mitteilt, wohin die Reise geht, kann man sich mal eine halbe Stunde darüber Gedanken machen.

Von daher ist es sicherlich nicht schädlich, wenn wir jetzt mal einen kleinen Ausflug machen und uns überlegen, wie neue Inhalte in die Weltgeschichte eintreten, denn diese neuen Inhalte können die Wirtschaft verändern.

Bekanntlich ist Philosphie für Ökonomen sowas ähnliches wie Homosexualität für den Papst. Der einzig für die Volkswirtschaftslehre relevante Philosoph ist Popper mit seiner Falsifizierung. Diese Methode wendet er auf die Naturwissensschaften genau so an wie auf die Sozialwissenschaften, insbesondere auf die Volkswirtschaftslehre. Damit erhält die Volkswirtschaftslehre sozusagen besondere Weihen, obwohl diese die Falsifikation eigentlich gar nicht anwenden und auch nicht anwenden können.

Viele eherne Gesetze der Volkswirtschaftslehre, wie etwa das Pareto Optimum sind schlicht Trivialitäten, die "intuitiv" einsichtig sind, obwohl sie weder bestätigt noch falsifiziert werden können. Dass Menschen nur dann Güter freiwillig tauschen, wenn dies beiden Vorteile bringt, ist naheliegend. Dass die Neigung ein Gut abzugeben steigt, wenn dieses im Überfluss vorhanden ist, ist genau so naheliegend. Der von Pareto konkret konstruierte Fall, zwei Tauschpartner besitzen dieselben Güter A und B, aber in unterschiedlichen Mengen und tauschen so lange, bis der Grenznutzen von Gut A so hoch ist wie der des hierfür ausgetauschten Gutes B, unter Absehung von Geld als Tauschmittel, ist empirisch nicht überprüfbar, es ist lediglich so trivial, dass es "intuitiv" einsichtig ist. Dadurch, dass man ein bisschen rumrechnet, bekommt das Geschwurbel dann die höheren Weihen der Wissenschaftlichkeit.

Das walrasianische Gleichgewicht, die Preise werden solange angepasst, bis die aufsummierte Nachfrage dem aufsummierten Angebot entspricht, ist ebenfalls nicht empirisch nachvollziehbar, es ist lediglich "intuitiv" einsichtig, auch wenn es nur für den reinen Tauschmarkt, und auch nur für einen sehr speziellen, Gültigkeit hat. Das berühmte Kreuz aus Angebot und Nachfrage, siehe langfristiges und kurzfristitges Gleichgewicht ist zwar falsifizierbar formuliert, allerdings würde die Falsifikation die Kernaussage des Modells nicht berühren, da die Ausdehnung der Nachfrage sowohl zu einem Anstieg der Menge und der Preise führen kann, es aber genau so plausibel ist, dass mit zunehmender Nachfrage, durch die Fixkostendegression, die Preise bei steigendem Angebot sinken.

Gegen die Falsifikation lassen sich des weiteren noch weitere, grundsätzliche Einwände machen. a) Es bleibt unklar, wann eine Theorie überhaupt falsifiziert ist, b) in den Naturwissenschaften wird eben gerade nicht so verfahren, c) die Falsifikation lässt keine Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge zu, genau hierfür interessiert man sich aber, d) das Gewordene ist lediglich das Resultat eines Zusammenhanges, aber nicht der Zusammenhang selbst.

ad a) Viele Thesen der VWL sind statistische Zusammenhänge. Dies trifft zum Beispiel auf die These zu, dass eine ungleiche Verteilung das Wachstum fördert, weil sie die Sparquote erhöht und die Leistungsanreize höher sind. Das Problem dabei ist, dass unklar bleibt, wie hoch der Korrelationskoeffizient denn nun sein muss, um die Theorie zu bestätigen, bzw. zu falsifizieren. Die These, dass ein Rückgang der Störche zu einem Rückgang der Geburtenrate führt, lässt sich stabil bestätigen. Allerdings ist das ohne Kenntnis der kausalen Zusammenhänge wertlos.

ad b) Manche Naturwissenschaften, insbesondere die Biologie und die Medizin, gehen überhaupt nicht so vor, wie Popper sich das vorstellt. Sie starten bei einem statistischen Zusammenhang, etwa der Tatsache, dass Männer früher einen Herzinfarkt erleiden als Frauen, weil Östrogen protektiv wirkt, eine Tendenz, die sich mit zunehmendem Alter wieder angleicht. Aufgrund des statistischen Zusammenhanges wird dann nach kausalen Zusammenhängen gesucht, die immer weiter verfeinert werden.

ad c) Eine Falsifikation wird auch nicht notwendigerweise eine Theorie widerlegen. Sie wird unter Umständen lediglich zu der Erkenntnis führen, dass eine richtige These in einem speziellen Zusammenhang aufgrund bislang unbekannten Gründen nicht das erwartete Ergebnis liefert. Ohne Kenntnis kausaler Zusammenhänge, kann eine Theorie nicht falsifiziert werden, denn ohne Kenntnis der kausalen Zusammenhänge, ist nicht mal klar, ob sie "falsch" ist. Eine Theorie kann richtig sein, aber die Situation, gegen die sie getestet wird, kann nur unzureichend bekannt sein.

ad d) Für die Gesellschaftswissen relevant ist die Tatsache, dass gesellschaftliche Verhältnisse nur das Resultat eines Prozesses sind. Man kann empirisch ermitteln, dass sich Moslems vor Schweinefleisch ekeln (tun sie tatsächlich), Menschen aus westlichen Kulturkreisen Probleme haben, wenn sie nachträglich feststellen, dass ihnen anstatt Rindfleisch Pferdefleisch untergejubelt wurde. Daraus lassen sich aber keine weiteren Schlüsse ziehen, denn diese Aversionen sind lediglich das Resultat eines veränderbaren Prozesses. Anders sieht es aus bei der Aversion in Teilen Asiens gegen Milch. Dies hat einen handfesten Grund. Bestimmte Menschen können Lactose nicht verdauen.

Wie dem auch immer sei, Popper erfreut sich bei den Volkswirten großer Beliebtheit.

Das Ziel der VWL sind monetär messbare Ziele. Dass dieses Vorgehen problematisch ist, ist auch dem deutschen Bundestag schon aufgefallen. Und was tut man, wenn man ein neues Problem diskutieren will? Richtig! Man bildet eine Enquete Kommission, siehe Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft". Vorsitzende dieser Enquete Kommission ist Daniela Kolbe, ein süßes Mädel. Da lesen wir nun Erstaunliches.

Die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) soll den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt ausloten.

Unter Wachstum der Wirtschaft können wir uns ja was vorstellen, unter Wachstum der Gesellschaft ebenfalls (demographischer Wandel?). Was wir aber kaum verstehen können, ist was das eine mit dem anderen zu tun hat. Wir könnten uns etwas vorstellen unter "Auswirkungen des wirtschaftlichen Wachstums auf die Gesellschaft". Dann machen sie sich Gedanken über die Grenzen des technischen Fortschritts. Wie soll man sich darüber Gedanken machen? Ob es einen solchen gibt, sieht man erst, wenn er da ist (oder eben nicht). Aber wie will man a apriori sagen, wo die Grenze ist und wie man diese erreicht? Mehr vorstellen könnten wir uns unter "Chancen des technischen Fortschritts", meinetwegen auch "Chancen und Risiken des technischen Fortschritts". Dann muss Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer Fortschritt entkoppelt werden? Wie das? Warum? Der Autor würde eher vermuten, dass mit technischem Fortschritt der Ressourcenverbrauch sinkt.

Wir lesen da viele phantastische Dinge.

Da es beim Staat (wie bei den Sozialversicherungen) keine Preise gibt, wird ersatzweise der Aufwand für Arbeitnehmerentgelte und Abschreibungen (=Bruttowertschöpfungen) genommen. Wohlstandssteigernde Wirkungen ("Konsumentenrenten") bleiben unberücksichtigt.

Probleme der Messung des BIP

Also: In die Berechnung des BIP, des BSP oder des Volkseinkommen werden Konsumentenrenten und Produzentenrenten nie berücksichtigt, nur reale Marktpreise werden dort berücksichtigt. Also das mit der Enquete Kommission wird wohl eher nix und wir fragen uns, was für ein Höllenkraut die eigentlich im deutschen Bundestag rauchen. Bedeutsam ist nur, dass man sich darüber Gedanken macht. Wem es also noch nicht aufgefallen ist, dass Volkswirtschaft kein isoliertes System ist, dass abgekapselt von allen anderen sozialen und kulturellen Bereichen betrachtet werden kann, der hat hier ein weiteres Indiz dafür, dass dem nicht so ist.

Die gesamte Volkswirtschaftslehre stellt ab auf monetär messbare Größen, die das Verhalten der Menschen bestimmen, hypostasieren also eine Stabilität zwischen diesen monetären Größen und anderen, nicht näher spezifizierten Größen bzw. Verhaltensweisen.

a) Es reicht nicht, dass die Preise ein Knappheitsignal liefern, es muss auch der Wille vorhanden sein, diese Knappheit zu beseitigen, das heißt, es muss sich lohnen, diese Knappheit zu beseitigen. Unter heutigen Bedingungen werden wir an dieser Aussage kaum zweifeln, wenn wir die Effizienz von staatlichen Bürokratien mit marktwirtschaftlichen Unternehmen vergleichen. Was aber nicht notwendigerweise heißt, dass dem immer so ist. Denkbar ist, dass die Grundversorgung zu so einem mechanischen und simplen Prozess wird, dass dies sogar von einem Beamten zu leisten ist.

b) Angenommen wird des weiteren, dass Arbeit eine Mühsal ist, die nur derjenige auf sich nimmt, der entsprechend belohnt wird. Auch dies mag gegenwärtig so sein, obwohl wir gegenwärtig auch gegenläufige Tendenzen sehen. Immer mehr Leute schaffen es, von dem zu leben, was ihnen schlicht Spaß macht, bzw. was sie für sinnvoll halten. Dass sie ihre Arbeitszeit rentabler verwenden können, wird zweitrangig. Das wohl gravierendste Phänomen dieses Typs ist die Entwicklung von freier Software, ohne die das Internet nicht funktionieren würde. Unstrittig ist, dass die Leute, die selbige schreiben, sehr viel mehr Geld irgendwo anders verdienen könnten, was sie aber offensichtlich nicht wollen. Eine etwas andere Auffassung hat bekanntlich Keynes. Keynes ist gegen eine Verkürzung der Arbeitszeit und einer verordneten "Umverteilung" der Arbeit. Das Argument ist schlicht. Keynes geht davon aus, dass die Leute Geld gegenüber Freizeit präferieren.

Auf diesen zwei Annahmen beruht im Grunde die gesamte VWL. Hinter der gesamten VWL steht also ein recht eindeutige Annahmen über menschliches Verhalten, die im Moment so sind, aber nicht so sein müssen. Genau genommen steht hinter diesen Annahmen auch nicht der homo oeconomicus, als der rationale Mensch, der seinen individuellen Nutzen optimiert. Hinter der Annahme steht schlicht, dass Menschen nur durch monetäre Anreize dazu gebracht werden, ihre Arbeitskraft optimal zu nutzen, sowie die Annahme, dass die Marktsignale dafür sorgen, dass diese auch optimal genutzt werden, wobei man letzteres kontrovers diskutieren kann. Teilweise ist die Produktion von Dreck, wie etwa die Bildzeitung, rentabler, also die Produktion von Websites im Bereich Bildung.

Die Auseinandersetzung zwischen einer "sozialistischen Planwirtschaft" und einer Marktwirtschaft ist also auch eine Auseinandersetzung um ein Menschenbild, die aber durchaus nicht nur theoretisch geführt wird. Während merkwürdigerweise sich alle darüber einig sind, dass Planwirtschaft nicht funktionieren kann, sind Beamte der ideale Schwiegersohn, sicheres Einkommen, unkündbar, solide, obwohl Beamte Kommunisten sind. Sie haben, wie in der Planwirtschaft, eine Job auf Lebenszeit, sind unkündbar, der Zusammenhang zwischen Leistung und Einkommen ist sehr lose, entscheiden über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben, verwalten fremdes Geld, tragen kein Risiko. Im Vergleich zu einem Beamten lebt der Proletarier im Sozialismus in einem Raubtierkapitalismus, der sich zum Manchester Liberalismus verhält wie das Paradies zur Hölle. Also so richtig scheint niemand von der Marktirtschaft überzeugt zu sein, insbesondere die Ökokaste nicht, denn für die ist Marktwirtschaft nur schön im Akkusativ, im Nominativ ist das voll bäh.

Der langen Rede kurzer Sinn: Die Konstanz der Verhaltensweisen kann man in Frage stellen. Man kann auch in Frage stellen, ob die Wirtschaft ad calendas graecas so organisiert ist, dass nur die Peitsche der Konkurrenz zu einem Wohlfahrtsoptimum führt. Hinter dieser Fundamentaldiskussion, Planwirtschaft oder Marktwirtschaft, verstecken sich eigentlich Annahmen über menschliches Verhalten. Auch aus diesem Grund, kann man sich mal über alternative Sichtweisen Gedanken machen.

Wir sagen jetzt nicht, dass man einen "neuen" Menschen à la Che Guevara kreiiren soll. Den Schwachsinn kann man in Kuba an jeder zweiten Häuserwand betrachten. Wir sagen nur, dass es vorstellbar ist, dass es vorstellbar ist, dass Leute irgendwann nicht mehr nur monetär gesteuert werden. Das Internet illustriert anschaulich, dass dies möglich ist. Der Leser betrachtet diese Seiten mit einem KOSTENLOS Browser. Geliefert wird sie ihm von einem HTTP Server, dem Apache, der KOSTENLOS ist. Der Rechern, auf dem die Seite gespeichert ist, ist ein Linux Rechner, ein KOSTENLOSES Betriebssystem.

Der Sozialismus ist zweifelsohne völlig gescheitert. Er führte nicht zu einer freien, aller materiellen Not enthobenen Gesellschaft, sondern zu einem Mief vollgestopft mit verbeamteten Stasi Ratten.

Allerdings geht die Kritik Poppers am eigentlichen Problem vollinhaltlich vorbei. Die ökonomische Theorie von Karl Marx war zwar vollkommener Blödsinn, aber die Kritik Poppers setzt ja nicht auf dieser Ebene an, sie ist philosophischer Natur und auf philosphischer Ebene wird die Sache komplizierter. Marx hat nie eine Gesellschaftsordnung im Detail ausgearbeitet und in den Frühschriften hätte man vieles gefunden, was Popper gefallen hätte, zum Beispiel die elfte These zu Feuerbach.

Die Philosphen haben die Welt nur anders interpretiert, es geht aber darum, sie zu verändern.

Das geht zwar gegen Feuerbach, aber im Grunde auch gegen Hegel. Hegel denkt das Totum der Möglichkeiten als etwas, was im Ursprung da war und sich lediglich in der Geschichte entfaltet. Der Entfaltung dieses Totums kann man nur kontemplativ beiwohnen, zu tun gibt es nix. Es fehlen also zwei Aspekte, und so langsam nähern wir uns der Philosophie von Ernst Bloch. Zum einen fehlt die Tätigkeit, die den utopischen Horizont nach vorne schiebt und zum anderen fehlt der Aspekt der Neuheit. Oder mit Bloch:

Gewiß, Hegel sah in dem Fürsichsein der Idee, das sein Ultimatun ist und worin der Prozeß wie in einem Amen aushallt, das Primum des Ansichseins der Idee nicht nur reproduziert, sondern erfüllt: die "vermittelte Unmittelbarkeit" ist im Fürsichsein errreicht, statt der unvermittelten im Anfang des bloßen Ansichseins. Aber dieses Resultat blieb, wie in jeder einzelnen Gestaltepoche des Weltprozesses, so auch in seiner Gesamtheit, hier dennoch ein zyklisches; es ist der vom Novum gänzlich freie Kreislauf der Restitution in integrum [Bloch zitiert Hegel]: "Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein in sich selbst schließender Kreis,... das Ganze stellt sich als ein Kreis von Kreisen dar."

aus: Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Band I, Seite 234

Machen wir uns mal kurz und schmerzlos klar, was das heißen soll. Bei Hegel haben wir am Anfang [..., das Primum des Ansichseins der Idee] den Weltgeist, der sich allerdings noch nicht entfaltet hat, sozusagen wie ein Baby noch nichts über sich selbst weiß, aber alles was er wissen kann, bereits in sich trägt. Das Baby Weltgeist will sich also noch entfalten, liegt aber schon am Anfang fertig vor. Im Gegensatz zum Baby steigt der Weltgeist zwar nie ins Grab, jedoch erfährt er im Verlaufe seines Lebens, genau wie das Baby, wer er ist, er ist dann also nicht mehr einfach nur so da [Ansichsein], sondern sich seiner auch bewusst [Fürsichsein]. Ist er sich seiner ganz bewußt, hat er also alle Qualitäten gehoben, ist die Geschichte zu Ende. Wir haben dann den berühmten Hegelschen Dreiklang aus aufheben, aufheben, aufheben. Aufheben im Sinne von aufgehoben, also bewahrt. Aufheben im Sinne von hochgehoben, also ins Bewußtsein gebracht. Aufheben im Sinne von weggehoben, also kontemplativ erlebt, so dass es sich nicht mehr in die Geschichte entladen muss. Die vermittelte Unmittelbarkeit ist dann eher ein psychologisch zu deutender Begriff. Es reicht nicht, dass das Baby Weltgeist abstrakt begrifflich erfährt, wer es ist, sondern er muss das auch "erleben", also in eine Schicht vorstoßen, die unterhalb und tiefer liegt als der Begriff. Etwas Neues tritt aber nicht in die Weltgeschichte ein, es tritt nur das ein, was schon da war. Was aber schon da war, kann durch konkretes Handeln nicht beeinflusst werden und Handeln wird folglich an dem, was zur Erscheinung kommen kann, nichts ändern. Der letzte Abschnitt [...Jeder der Teile der Philosophie...] bezieht sich dann auf unterschiedliche philosophische Systeme, die bei Hegel eben nicht falsch oder richtig, sondern lediglich eine Wegstrecke auf dem Gang des Weltgeistes darstellen.

So rein philosophisch, also auf sehr abstraktem Niveau, geht die Kritik Blochs an Hegel also weitgehend konform, mit der Kritik Poppers. Der Horizont ist offen. Offen ist er im übrigen auch bei Karl Marx, zumindest in den philosophischen Frühschriften.

Gehen wir aber besser nochmal einen Schritt zurück. Wir haben bereits öfter gesehen, vor allem bei David Ricardo, dass ganze ökonomische Systeme zusammenbrechen können, weil man Zusammenhänge als stabil gesehen hat, die absolut nicht stabil waren, aber in einem gewissen Zeitraum als unverrückbare Gesetze galten. Bei David Ricardo, Malthus und anderen gehört hierzu die Annahme, dass die Bevolkerung stärker wächst, als die Nahrungsmittelproduktion und Boden ein knappes Gut ist. Beides ist grundfalsch.

Wir haben tonnenweise Aussagen darüber, dass Menschen, Nationen, ethnische Gruppen so oder so sind, aber faktisch keine einzige Annahme dieser Art hat den Fortgang der Geschichte überlebt. Es gäbe kaum irgendein relevantes Thema, bei dem der heutige Durchschnittseuropäer die Meinung eines Zeitgenossen aus dem Mittelalter teilt. Selbst mit einem Menschen vor 1945 gibt es nur wenig Schnittstellen. Wie stabil der Fortschritt des Bewußtseins ist, denn um einen Fortschritt handelt es sich, ist eine andere Frage. Wären wir von der institutionalisierten Bildung abhängig, wäre der Fortschritt bedroht, denn das Personal ist unzureichend qualifiziert. Denkt man an so Jungs und Mädels wie die hier, deutscher Philologenverband, kann man schon melancholisch werden.

Die Auseinandersetzung zwischen Marktwirtschaft auf der einen Seite und Planwirtschaft auf der anderen Seite lässt sich im Grunde auf zwei Kernpunkte reduzieren. Der eine Kernpunkt ist ein objektives Problem, hat also nichts mit menschlichem Verhalten zu tun. Dabei geht es schlicht um die Frage, wie man wissen soll, was, wie für wen produziert werden soll. Die marktwirtschaftliche Antwort auf diese Fragen ist relativ simpel. Der Preis bestimmt was, wie für wen produziert werden soll, siehe optimale Faktorallokation.

Die zweite fundamentale Annahme bezieht sich auf menschliches Verhalten. Die Annahme ist schlicht die, dass Menschen ihre Arbeitskraft nur dann optimal einsetzen, wenn es dafür Knete gibt.

Planwirtschaften gehen davon aus, dass es eine Alternative zum Lenkungsmechanismus durch Preise gibt, wobei diese Alternative erstmal nicht überzeugend war. Zweitens geht die Planwirtschaft davon aus, dass die Leistungsanreize nicht so groß sein müssen, wie sie in der marktwirtschaftlichen Ordnung sind. Die Marktwirtschaft glaubt, dass es nur einen Lenkungsmechanismus geben kann, den Preis, und sich die Vergütung für Arbeit an der Grenzleistungsfähigkeit der Arbeit orientieren muss. Beide Annahmen lassen sich kritisieren und werden ja tatsächlich ständig kritisiert, relativiert und verändert.

Die weitestgehenden Aussagen über menschliches Verhalten macht Hayek, anders formuliert, sein Menschenbild ist zutiefst pessimistisch. Er unterstellt implizit, dass Menschen dazu neigen, Macht an sich zu reißen, und dass in Systemen, wo der Staat über den Einsatz von Ressourcen entscheidet, es zu einer Anballung von Macht kommt, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen wird. Die hypostasierte psychologische Grundbefindlichkeit diskutiert er nicht weiter. Er lässt offen, ob der Mensch "an und für sich so ist" oder er dieses Verhalten in weitestem Sinne gelernt hat, etwa weil er nicht gelernt hat, die Attraktivität alternativer Verhaltensweisen bzw. Verhaltensmuster zu erkennen. Da diese Annahme für seine Vorstellungen aber zentral ist, hätte er sie ausführlicher diskutieren müssen. Er hätte also die Stabilität dieser Annahme beweisen müssen.

Solche fundamentalpsychologischen Aussagen spielen bei Keynes keine Rolle. Zwar schreibt auch Keynes, an einer Stelle, dass Menschen dazu neigen, wenig pfleglich mit ihren Mitmenschen umzugehen, mit ein Grund dafür, dass er Unternehmer nicht abschaffen will, der quält dann sein Bankkonto und nicht seine Umwelt, insgesamt spielt es aber keine Rolle. Zentral für Keynes ist Unsicherheit. Das subsumiert er zwar unter psychologische Faktoren, was insofern zutrifft, als man auf Unsicherheit unterschiedlich reagieren kann, aber eigentlich ist es ein objektiver Faktor. Allerdings ist auch dieser Faktor nicht in Stein gemeiselt. Unsicherheit kann man z.B. reduzieren, indem man den Zugang zu Informationen erleichtert.

Der langen Rede kurzer Sinn. Wir haben zwar, in der BRD, keinen offenen Horizont im Sinne von Ernst Bloch, denn bei Bloch ist die Morgenröte, hinter der sich das noch Unbekannte versteckt, die "sozialistische" Gesellschaft, also die nennt er schon als Etappenziel, aber wir haben auch kein klare Vorstellung, wie die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in der Zukunft aussehen soll. Wir haben im Moment ein Mischsystem.

Sowohl Popper als auch Bloch haben wenig Sympathien für den Kollektivismus. Zwar ist für Bloch die sozialistische Gesellschaft eine Zwischenetappe, aber im Grunde handelt "Das Prinzip Hoffnung" vom Aufleuchten der Utopie im Individuum. Wo auch sonst? Hoffnung gibt es im Kollektiv nur, sofern sie in den Individuen steckt. Versucht ein Kollektiv dem Individuum eine Hoffnung einzupflanzen, wird das Individuum abgeschafft. Eine Hoffnung, die nur noch in systemisch erwünschtem Verhalten ihr Ziel findet, verengt den Horizont und öffnet ihn nicht.

Es gibt noch eine weitere Ähnlichkeit zwischen Bloch und Popper. Beide sind reichlich philosophisch. Diskutieren also ihre Themen unter Absehung der konkreten institutionellen Rahmenbedingungen. Der Teufel allerdings steckt im Detail. Um irgendwas schrittweise in irgendeine Richtung zu bewegen, müsste man erstmal genaue Informationen haben. Wir sind also wieder da, wo wir am Anfang waren, siehe Preliminarien.

Widmen wir uns also mal Bloch und beginnen mit einem Präludium, denn Bloch im Orginal tönt recht heftig, ist also reichlich kompliziert, das machen wir dann später. Was Bloch in höchst abstrakten Begrifflichkeiten beschreibt, ist der offene Horizont. Offen ist er, weil sich das Individuum selbst entwickelt, offen ist er, weil sich die Gesellschaft entwickelt, offen ist er, weil sich die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft verändert, weil entweder das Individuum selbst sich verändert oder die Gesellschaft dieses verändert. Offen ist die technische Entwicklung, die wiederum die Gesellschaft verändert, wobei aber auch eine Veränderung der Gesellschaft die technische Entwicklung verändert.

Der Autor geht jetzt davon aus, dass man das nicht mal nachweisen muss, das ist offensichtlich. Bei einer so großen Menge an unsicheren Kandidaten ist die Annahme von Stabilitäten äußerst fragwürdig. Auch Aussagen über irgendwelche Verteilungen von Begabungen werden unter diesen Auspizien fragwürdig. Erstens wissen wir gar nicht, welche Begabungsprofile letztlich relevant sind, es entstehen ständig neue Anforderungsprofile und alte werden irrelevant und zweitens wissen wir auch gar nicht, inwiefern die Gesellschaft Begabungsprofile beeinflusst.

Bekanntlich stand am Eingang zum Orakel zu Delphi der Spruch "Erkenne dich selbst". Das ist nun irgendwie hegelianisch. Es soll also etwas "in einem selbst sein", was man aber trotzdem nicht erkennen kann. Leider verrät uns das Orakel nicht, wie man sich selbst erkennen soll.

Anzunehmen ist aber, dass das, was erkannt werden soll, von außen irgendwie angeleuchtet werden muss, man also das erkennt, was auswendig etwas Korrespondierendes hat. Wenn dem so ist, dann ist das, was man erkennt, etwas gesellschaftlich Vermitteltes.

Das Orakel von Delphi macht hier aber eine weitreichende Aussage. Während der Postrukturalismus den Menschen als etwas rein Gesellschaftliches sieht, das "Selbst" des Individuums also nicht von außen angestrahlt wird, sondern dieses Außen schlicht spiegelt, Kollektivismus also sozusagen der natürliche Zustand ist, behauptet das Orakel von Delphi, dass jeder einzelne sich selbst erkennen soll, andernfalls müsste da stehen "Passe dich an" oder "Werde so wie die anderen".

Ist im Individuum schlicht nichts, gibt es im Individuum auch nichts zu erkennen. Sowohl "erkennen" wie auch "dich selbst" zielen auf das Individuum. Das Orakel zu Delphi ist also für das Individuum und gegen das Kollektiv.

Bleibt immer noch die Frage wie. Bekanntlich erkennt man ja auch das nicht, was entweder unterhalb der Schwelle des Bewußtseins liegt, bzw. unterhalb diese Schwelle, bei Freud, verschoben wurde. An letzteres glauben wir nicht und ersteres betrifft ephemere Inhalte.

Bleibt noch übrig, dass man etwas auch durch ein diskursives Vorgehen erfährt, also so im Stile Sokrates. Die Methode zielt aber auf logische Zusammenhänge ab. Hier soll aber nicht etwas logisch durchdrungen werden, sondern erkannt werden. Das Verb "erkennen" zielt schlicht auf "wiederkennen" ab und nicht auf einen Erkenntnisprozess.

Die Interpretation des Spruchs im Sinne von "Erkenne deine Grenzen", diese Interpretation finden wir hier und da, passst auch nicht so richtig, denn um seine Grenzen zu "erkennen" muss man irgendwas tun. Seine Grenzen LERNT man kennen. Erkennen ist ein rein kontemplativer Vorgang und auch irgendwie passiv. Man sitzt irgendwo und erkennt irgendwas.

Wir wissen ja nicht, ob die Griechen allzuviel über den Spruch nachgedacht haben, aber fasst man das alles zusammen, kann der Spruch nur bedeuten, dass man irgendwas passiv erkennt, was irgendwie schon "in" einem war. Das lässt sich eigentlich sinnvoll nur so interpretieren: Man erkennt etwas, wenn es etwas gibt, was mit irgendwas in der individuellen Veranlagung korrespondiert.

Viele Säulen beschien die Sonne
doch nur die Säule Memnons klang

Der Vers bringt das zum Ausdruck. Alle erleben das Gleiche, manche "erkennen" dann irgendwas, andere eben nicht. Das wäre sogar einer empirischen Prüfung zugänglich. Wenn alle das gleiche erleben, sich aber unterschiedlich erinnern, dann war es für die einen ein prägendes Erlebnis, für die anderen eben nicht.

Zweitens wäre bei dieser Interpretation der Horizont offen. Was man derart erkennen könnte, ist unklar, denn die gesellschaftliche Entwicklung, die das Erkennen erlaubt, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Möglichkeiten. Umgekehrt wird aber mit zunehmendem "Erkennen" das Handeln wiederum zielgerichteter, was wiederum das Umfeld prägt, und damit den Raum des Erkennens. Was aber für das Individuum gilt, gilt auch für die Summe der Individuen, was wiederum die Gesellschaft beeinflusst.

Neben dem passiven Erkennen des "Selbst", welches in dem Maße voranschreitet, wie die Gesellschaft sich ausfächert und ausdifferenziert, gibt es ganz unstrittig noch einen Erkenntnisfortschritt, der auf objektive Zusammenhänge zielt. Auch dieser Erkenntnisfortschritt wird das Individuum und damit die Gesellschaft prägen.

Da wo also die Überlegenheit der Marktwirtschaft durch objektive Zusammenhänge erklärt wird, z.B. die Informationsverarbeitung durch Preise, kann nur die Alternative besser sein, die eben dieses Problem besser löst. Da wo sie begründet wird mit einem stabilen menschlichen Verhaltensmuster, wird es kritischer. Die im Grunde pessimistische Einschätzung menschlichen Verhaltens, die der Volkswirtschaftlehre zugrunde liegt, und zwar so selbstverständlich, dass sie nicht mal reflektiert wird, ist bezogen auf heutige Verhältnisse eine ganz gute Annäherung. Erfolgt keine Kontrolle durch den Markt und nicht mal eine abgeschwächte in Form eines demokratischen Entscheidungsprozesses, dann laufen die Dinge, wie die EU Bürokratie, völlig aus dem Ruder. Die Lösung dieser Probleme liegt aber nicht in einer Fundamentaldiskussion, sondern in einer stärkeren Transparenz und damit Kontrolle, siehe Präliminarien. Mit der Frage, wie man Systeme kontrolliert, die prima facie keine Kontrolle kennen, diskutieren wir auf der www.recht-eigenartig.de.

Was Bloch also in Worte fasst, mit ganz neuen Begrifflichkeiten, ist der unbewohnte Platz Zukunft. Das Abstraktionsniveau ist, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, extrem hoch. Das liegt daran, dass er Heterogenes, die Dynamik des Einzelnen, die Wechselbeziehung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, der Einfluss der Gesellschaft auf die technische Entwicklung und die Veränderung der Gesellschaft durch die Technik, wobei das dann entstehende Ensemble wiederum auf das Individuum zurückwirkt, das wiederum die Technik und die Gesellschaft verändert unter eine einheitliche Terminologie fassen will. Was man so erhält, ist eine Skizze, die der Leser dann mit eigenen Farben, so vorhanden, ausmalen muss.

Es ist also ganz offensichtlich, dass der Mensch ein ziemlich kompliziertes Konstrukt ist. Wenn aber Ideologien ein bestimmte Vorstellung von einer Gesellschaft haben, müssen sie diese Komplexität reduzieren.

Das hat auch Gott getan und dieses skandalöse Vorgehen stört trotzdem niemanden. Wir lesen in Genesis, Moses 1.

26 Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.



Das ist kein Gott, wie er mit den Vorstellungen Poppers und Blochs vereinbar ist, wie wir ihn im Faust finden, siehe Das Prinzip Hoffnung, sondern ein totalitärer Gott. Dieser Gott hat die Menschen nach seinen Vorstellungen geformt. Damit hat er offensichtlich auch eine Vorstellung davon gehabt, wie eine Gesellschaft auszusehen hat, denn sinnvollerweise hat er ihn so geschaffen, dass er in eine so imaginierte Gesellschaft passt. Das ist sozusagen die Steigerung von Platon. Der Einwand des Papstes ist vorhersehbar. Da er ja allwissend ist, wird er im Menschen das blochsche Alles schon angelegt haben. Da halten wir uns doch lieber an den Gott in Goethes Faust. Der lässt erkennen, dass er keinen Plan hat und hofft, dass Faust sich auf die Suche macht, siehe Das Prinzip Hoffnung.

Wir sehen also: Der offene Horizont ist nicht nur beim verbeamteten Krämerladen des real existierenden sozialistischen Irrenhauses ein Problem.

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Infos und Anmerkungen:

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Das Buch zur Webseite.

Das Orakel zu Delphi und der offene Horizont

Der offene Horizont bei Popper, Bloch und Hegel

Die einzige Stabilität in der Weltgeschichte, ist der Glaube an Stabilitäten

Der sympathische abgeklärte Gott in Goethes Faust und der totalitäre Herrschergott im Christentum

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