zur pdf-Datei ...
Die Volkswirtschaften sind nicht die einzigen Fakultäten, die dieses Problem haben. Es ist ein systemisches Problem.
In der Medizin / Biologie, Chemie, Ingenieurswissenschaften, Informatik etc. sind die Ziele klarer definiert und damit kann der Zielerreichungsgrad klarer gemessen werden. Die sehr klar umrissenen Berufsfelder mit sehr klaren Anforderungsprofilen wirken hier normierend.
Diffuse Situationen erlauben es, sich jeder Kontrolle zu entziehen. Extrem ist das bei den Geisteswissenschaften, vor allem den Philologien. Die dienen prinzipiell dem Wahren, Guten und Schönen.
Wer hier den Handlungsspielraum einschränken will, ist ein Feind des Wahren, Guten und Schönen. Zum Kanon des Wahren, Schönen und Guten gehört nun all das, was ohne größeren Arbeitsaufwand reproduziert werden kann. Auch in 100 Jahren werden also Hispanisten noch über den Begriff der Ehre im Siglo de Oro nachdenken.
Germanistikstudenten werden irgendwann ihre 16 jährigen Schüler mit Barocklyrik und dem Ribeck auf Ribeck im Havelland begeistern, in dessen Hof ein Birnbaum stand. Die Parallelgesellschaft ist ein komplexes Phänomen. Intuitiv wissen wir zwar, was es ist, aber Goethe wird nicht helfen. Generationen von Deutschlehrern lese zwar den Faust, überlesen aber, was für den gesunden Menschenverstand sehr plausibel, für den Bewohner der Parallwelt allerdings völlig unverständlich ist.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Sagt Goethes Faust zu Wagner, dem Vertreter der akademischen Parallelgesellschaft. Das steht da schon seit fast zweihundert Jahren und seit fast zweihundert Jahren wird es in der Schule gelehrt, von Germanisten, die wohl noch nie darüber nachgedacht haben, ob sie Faust oder Wagner sind.
Die Problematik, die sich aus unscharf definierten Zielen ergibt, ist den Volkswirten im übrigen völlig bewusst, denn sie dozieren darüber bis zum Abwinken (mit noch mehr Inbrunst im übrigen die BWLer). Aber irgendwie ist das ähnlich wie bei den Germanisten. Das blubbert in allen Fächern, die ziellos durch das Paralleluniversum geistern ganz ähnlich. Man kann also ganz offensichtlich eine Erkenntnis vom Katheder verkünden, die Relevanz aber nicht erkennen. Kein Vertreter der Ökokaste wäre in der Lage, die Ziele der Vwl zu nennen. Das Problem hatten sie zwar schon im Moment ihrer Entstehung, wir werden das sehen, wenn wir uns mit den Autoren der Neoklassik befassen, aber diese haben das Problem wenigstens diskutiert.
Bei Fächern wie Elektrotechnik wird dann nicht mehr geblubbert. Die wissen ganz definitiv wo es lang geht.
Kaum ein Prozess mehr ohne elektrischen Betrieb: Unsere moderne Zivilisation basiert in großem Maße auf der Elektrotechnik. Die Anwendung von Informationstechnologien in Kommunikation und Automatisierung, Fahrzeugen, Logistik und Mikrosystemen sind also Bereiche, in denen in starkem Maße Ingenieure nachgefragt werden. Genau dorthin haben wir im Bachelor Elektrotechnik den Schwerpunkt unseres Haupt- und Vertiefungsstudiums gelegt. Dazu zählen auch Embedded Systems und Funk-Nahbereichskommunikation, die zu den aktuellen Forschungsschwerpunkten gehören. Damit eröffnet sich für die Studierenden eine Ausbildung in einem äußerst innovativen und attraktiven Tätigkeitsfeld mit hervorragenden Berufsaussichten." aus: http://www.hochschule-bochum.de/studienangebot/bachelor/bachelor-elektrotechnik.html |
Die Geisteswissenschaften haben sich dem Dialog mit der Gesellschaft verweigert, was letztlich zu ihrem Untergang geführt hat. Nicht abstrakt und theoretisch, sondern höchst konkret und in Euros. Die Anzahl der Lehrstühle wurde reduziert, ganze Fakultäten geschlossen.
Dem Ansatz des Bologna Prozesses, berufsqualifizierend auszubilden, hatten sie argumentativ nichts entgegenzusetzen. Zwar wird über geisteswissenschaftliche Themen heftig getritten und diskutiert, denn jede technisch, ökonomische Basis braucht ihren Überbau, doch an dieser öffentlichen Debatte sind die Geisteswissenschaften nicht mehr beteiligt.
Die Volkswirtschaft ist im Moment dabei, dasselbe Schicksal erleiden. Texten könnte eine volkswirtschaftliche Fakultät zum Beispiel so:
"Der Wohlstand einer Gesellschaft wird begrenzt durch ihr technisches Know How, ihre Innovationskraft und ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Bedingungen. Krisen zeigen uns, dass die technische Basis alleine nicht ausreicht, dauerhaft den Wohlstand zu sichern und das Potential auszuschöpfen. In den ersten vier Semestern des Bachelor Studienganges werden die makroökonomischen und gesellschaftspolitischen Größen diskutiert, die gesamtwirtschaftlich den Wohlsand beinflussen. Diese Kenntnis befähigt den Volkswirt, Querschnittsfunktionen wahrzunehmen. In den verbleibenden zwei Semestern wendet er diese Kenntnisse in für den Volkswirt typischen Berufsfeldern an: Öffentlichkeitsarbeit, Entwicklungspolitik, staatliche Organisationen mit Steuerungsfunktion, Banken und Versicherungen, NGOs etc.. " |
Das ginge dann in die richtige Richtung. Der Text stammt allerdings vom Autor und steht so bei keiner wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät.
Die Organisation eines solchen Studienganges ist jetzt natürlich eine komplexere Aufgabe, als im stillen Kämmerlein Kurven hin und her zu schieben. Qualitativ hochwertig unterrichten kann man nur, wenn bei staatlichen Organisationen vollkommene Transparenz herrscht. Erst wenn es konkret wird, wird es richtig spannend.
Um über Entwicklungspolitik diskutieren zu können, muss z.B. die Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung transparent dargestellt werden können, so denn eine Strategie überhaupt vorhanden ist. Bei der Öffentlichkeitsarbeit kann man ohne Ende Projekte schmieden im Internet.
Umsetzung von Projekten und konkreten Produktideen kann man anerkennen als Bachelor / Masterarbeit, das übliche Zusammengeschriebsel aus der Literatur bringt nichts. Volkswirte können Maßnahmen der Europäischen Union, etwa das Erasmus Programm, evaluieren. Intuitiv würde niemand vermuten, dass es für Volkswirte keine Arbeit gibt.
Das Problem ist nur, dass sie die Aufgaben bei der jetzigen Organisation des Studiums nicht lösen können und solange der Staat seine Daten nicht freigibt, sind die Handlungsmöglichkeiten des Volkswirts ebenfalls limitiert. Was für den Smart Phone Entwickler seltene Erden, sind für den Volkswirt die Daten. Ohne Daten kann er nur theoretisch Kurven hin und her schieben.
Volkswirtschaft ist einfach und muss auch einfach sein. Dies allein wäre schon ein Grund gewesen, die Banken in die Pleite zu schicken, denn dann wäre für jedermann sofort klar gewesen, welche Bank mit welcher Bank verflochten ist, wer welche Papiere hält und wer darauf spekuliert hat, dass der Steuerzahler letztlich für die Risiken haftet (Nochmal für den Leser aus der Zukunft: Wir schreiben immer noch das Jahr 2012. Im Jahre 2012 wurden allem möglichen Banken, die leichtfertig Kredite vergeben haben, vom Steuerzahler gestützt). Transparenz an sich ist ein Gut, das auch was kosten darf.
Die Undurchschaubarkeit der Verhältnisse ergibt sich weniger aus der Komplexität der volkwirtschaftlichen Zusammenhänge an sich, sondern aus dem Agieren des Staates. Es ist nicht die Komplexität der marktwirtschaftlichen Ordnung, die zu öffentlichem Rätselraten führt, obwohl dort das gesamte Volkseinkommen erwirtschaftet wird, sondern das staatliche Handeln mit einer unendlichen Fülle an nicht mehr überschaubaren Reaktionen.
Genau genommen wissen wir nicht mal, ob Sozialleistungen die Vermögenden nicht noch vermögender machen. Leiht sich der Staat Geld zur Finanzierung von Sozialleistungen, dann leiht er sich das von Leuten, die es verleihen konnten, das ist sehr naheliegend.
Ein Teil der Sozialleistungen wird also verzinst zurückgezahlt, aber nicht an die Sozialhilfeempfänger. Naheliegenderweise profitieren natürlich auch bestimmte Branchen von der Sozialhilfe und naheliegenderweise fließt ein Teil des Geldes via Umsatzsteuer wieder an den Staat zurück.
Je mehr der Staat also interveniert, desto komplizierter wird es. Die Komplexität wäre hinnehmbar, wenn die Transparenz parallel zur Einflußnahme steigt. Das ist aber nicht der Fall. Die Volkswirtschaft ist noch die gleiche Buchreligion wie zu Seiten des seligen Adam Smith und die Journaille hat ein Interesse daran, die Vermittlerolle zwischen staatlichem Handeln und Bürger monopolistisch zu besetzen, obwohl sie nicht mehr durchblickt.
Für die marktwirtschaftliche Ordnung gibt es ein zentrales Argument: Sie vereinfacht radikal die Informationsverarbeitung. Es ist ein skurriles Faktum, dass die dozierende Ökokaste darauf insistiert, dass ihr Fach so schrecklich kompliziert ist. So kompliziert, dass die Plebs da nie durchblickt und folglich auch keine qualifizierten Wahlentscheidungen mehr treffen kann.
Sachlogisch müsste sie sich eigentlich mit dem trade off zwischen Komplexität und Demokratie beschäftigen, darauf verweisen, dass politisches Handeln unter Umständen vielleicht sogar gut gemeint ist, faktisch aber die Demokratie außer Kraft setzt. Das von der Politikerkaste häufig vorgetragene Argument, dass die repräsentative Demokratie Entscheidungen an kompetentere Stellen, die Abgeordneten, delegiert und damit leistungsfähiger sei, weil die Plebs nun mal nicht durchblickt, ähnelt dem Hüten eines Betriebsgeheimnisses, mit dem Unterschied eben, dass über den ökonomischen Wert dieses Geheimnisses unmittelbar der Markt entscheidet.
Volkswirtschaft ist also erstmal sowieso nicht schwierig. Die Aussagen von Rüdiger Bachmann, siehe Sinnhaftigkeit der mathematischen Modellierung, dass Krise schwierig sei, impliziert schon die Feststellung, dass Märkte versagen, tun sie das nämlich nicht, wie die Klassiker / Neoklassiker sich das vorstellen, dann ist Wirtschaft geradezu idiotisch einfach. Die Marktwirtschaft ist dadurch charakterisiert, dass sie radikal vereinfacht. Alle Informationen, die benötigt werden, stecken in den Preisen und diese sind jedem zugänglich.
Die Aussage, dass Wirtschaft schwierig sei, das liest man ja auf jeder zweiten Website einer volkswirtschaftliche Fakultät ist also weitgehend sinnfrei. Wirtschaft wird von Leuten gemacht, weitgehend erfolgreich, die keine Ahnung haben davon. Die handelnden Akteure müssen nur die Preise kennen und sich an diese anpassen. Wirtschaft wird erst dann kompliziert, wenn man die Ergebnisse des Marktes aus welchen Gründen auch immer nicht akzeptieren will, bzw. von einem Marktversagen ausgeht. Die Komplexität ergibt sich also aus den Zielen, ist aber nicht automatisch vorhanden.
Schwierig wird es, wenn der Staat interverveniert, genau genommen: Es wird dann undurchsichtig. Zweitens darf Volkswirtschaft auch nicht schwierig sein. Drittens: Wäre Volkswirtschaft schwierig, sollte man keinen Hirnschmalz darauf verschwenden, die Komplexität zu erfassen. Der Hirnschmalz wäre dann darauf zu verwenden, die Komplexität sinnvoll zu reduzieren.
Auch das ist nicht besonders theoretisch, sondern höchst praktisch. Niemand, so er denn noch alle Tassen im Schrank hat, hat was gegen die europäische Einigung: Wegfall der Grenzen, freier Verkehr von Personen, Waren und Dienstleisungen, gemeinsame Währung etc..
Aber völlig undurchsichtige Megabürokratien, hinter der sich die nationalen Bürokratien dann teilweise auch noch verschanzen und damit die europäische Einigung zum Superlativ von kafkaesk machen, werden den Leuten unheimlich.
Wir erkennen durchaus an, dass nach 2000 Jahren Pleiten, Pech und Pannen alle politischen Parteien, von den wenigen durchgeknallten Spinnern am rechten Rand mal abgesehen, sich gewisse Grundideen stabil durchgesetzt und im Zweifelsfalle energisch verteidigt werden.
Wir brauchen Europa, weil nur Europa eine positive Vision darstellt, der Nationalstaat tut das nicht. Wir brauchen aber kein Europa der EU Bürokratie und wir brauchen auch kein Europa der Vaterländer. Wir brauchen ein Europa der Europäer. Wir brauchen eine starke Schicht unterhalb der Bürokratie. Wir brauchen informelle Vernetzung und Transparenz. Wir brauchen kein Europa, dass lediglich Grenzen verschiebt. Wir brauchen ein Europa, das stark genug ist, Grenzen zu öffnen. Wir brauchen keine Grenztruppen in Griechenland, wir brauchen ein Europa, das Probleme löst. Wir brauchen keine Sarrazins, wir brauchen Kapitalsammelstellen, die Geld zukunftsweisend investieren können.
Volkswirtschaft ist auch deshalb nicht besonders schwierig, weil die Anzahl an "Ideen" und Argumentationsmustern im Grunde sehr überschaubar ist. Liest man die überschaubare Menge an grundlegenden Werken im Orginal, wird man schnell erkennen, dass die Menge an Themen, Modellen und Theorieansätzen begrenzt oder zumindest endlich ist. In der öffentlichen Diskussion ohnehin. Das trifft für keine andere Wissenschaft zu. Das Problem der VWL ist nicht das Theoriegebäude, sondern die Fakten. Strittig ist, ob wir mehr Theorie brauchen. Unstrittig ist, dass wir mehr Transparenz brauchen. Dieser Tatbestand dürfte auch partiell den Umstand erklären, warum wirtschaftspolitische Entscheidungen von "Laien" getroffen werden und ein Augenarzt Wirtschaftsminister werden kann. Was die akademische Ökokaste verbissen bestreiten wird, ist in der Politik und in der Öffentlichkeit längst Gemeingut.
Im übrigen ist die Volkswirtschaft ohnehin eine kuriose Wissenschaft. Der größte Spott der dozierenden Ökokaste gilt ja bekanntlich den Geisteswissenschaften, das ist zumindest die Erfahrung des Autors, da wird zur Belustigung des milchbubigen Publikums ex catedra gelästert, was das Zeug hält.
Skurril ist das deshalb, weil bis Keynes die Volkswirtschaftlehre eigentlich reinste Philosophie war. Auch der Spruch von Karl Marx, die Philosophen hätten die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern, ist unter diesen Auspizien völlig unverständlich. Er hätte auch sagen können, dass die Ökonomen vor ihm, auf die er sich stützte, die Welt nur interpretiert haben (das mit dem unterschiedlich lassen wir mal, denn im Grunde ist David Ricardo, Jean Baptiste Say, Léon Walras, Vilfredo Pareto etc. schon bei Adam Smith angelegt).
Die Marktwirtschaft ist ein sich
selbst kontrollierendes System
Staatliches Handeln ist nur kontrollierbar,
wenn die Fakten und die Entscheidungsgrundlagen
bekannt sind.
Die Schwierigkeiten der Volkswirtschaftslehre
liegen nicht in der Theorie, sondern in den Fakten
Reduktion der Komplexität als Staatsziel