"Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" ist eines der bekanntesten Bücher Poppers, erschienen ist es 1945. Anhand von drei philosophischen Systemen, Platon (Band I) und Hegel / Marx (Band II) erläutert Popper seine Vorstellungen von der offenen Gesellschaft in dem er diese mit einer geschlossenen Gesellschaft kontrastiert, wobei Platon, Hegel und Marx die Begründer geschlossener Gesellschaften sind. Offene Gesellschaften zeichnen sich durch Offenheit in mehrerer Hinsicht aus. Offen ist erstmal der historische Horizont. Offene Gesellschaften entwerfen kein Bild einer "idealen" Gesellschaftsordnung, sondern streben diese in kleinen, jeweils korrigierbaren Schritten an. In offenen Gesellschaften kann die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung jederzeit über eine Wahl geändert werden. Charakteristisch für die offene Gesellschaft ist die öffentliche Diskussion und der Austausch von Argumenten.
Im Gegensatz hierzu strebt die geschlossene Gesellschaft einen als Ideal gedachten Endzustand an, wodurch, naheliegenderweise, weder ein demokratischer Entscheidungsprozess noch eine öffentliche Debatte sinnvoll ist. Wer im Besitz der Wahrheit ist, kann keinen Sinn darin erkennen, diese Wahrheit dem Votum der Wähler auszusetzen, es käme ja auch niemand auf die Idee, über die Gültigkeit des Energieerhaltungssatzes öffentlich abstimmen zu lassen.
Die als ideal imaginierte Gesellschaft kann hierbei in der Vergangenheit liegen, wie bei Platon oder schlicht eine Gesellschaft sein, die sich bedingt durch "ökonomischen Gesetze" zwangsläufig ergibt, wie im Marxismus. Ein dritter Fall ist Hegel. Bei Hegel hat die Weltgeschichte zwar ein Ziel, nämlich die "Selbsterkenntnis" des Weltgeistes, allerdings lässt Hegel offen, wann dieser Zustand denn nun erreicht ist. Hegel ist für Popper ein "orakelnder" Philosoph, weil er das zentrale Moment der Popperschen Philosophie, nämlich die Falsifizierbarkeit, schlicht aushebelt. Für Hegel gibt es im eigentlichen Sinne keine "Wahrheit", sondern lediglich einen Zustand, der der jeweiligen historischen Entwicklung des Weltgeistes entspricht. Ein Zustand, der einen anderen Zustand negiert, ist also genau so wahr, wie der ursprüngliche Zustand. Die Beurteilung der drei Systeme ist hierbei höchts unterschiedlich. Während Platon und Hegel drastisch kritisiert werden, ersterem unterstellt er, dass er mit der Herrschaft der Philosophen eigentlich auf die Herrschaft von Platon höchselbst abzielte, letzterem, dass er sich als Staatsphilosoph für die absolutischte Herrschaft Wilhelm III einsetzte.
Marx hingegen beurteilte er durchweg positiv, wenn er auch dessen These, dass die Gesellschaft unerbittlich auf einen Endzustand zusteuert, massiv betreitet.
Die Grundthesen von Popper wird niemand bestreiten, um diese Thesen wird es also im Folgenden nicht gehen. Die Schlachten, die Popper schlägt, sind, heute, zur Zeit der Verfassung des Buches war dies nicht der Fall, weitgehend geschlagen. Allerdings gibt es noch Probleme im Detail und da würde der Autor sagen, dass Adorno dichter an der Realität war.
Diskutieren kann man über Details, aber auch über die Leistungsfähigkeit seines Ansatzes, anhand dreier philosophischer Systeme allgemeine Aussagen zu machen.
Fragen kann man sich drei Dinge.
Offensichtlich will er anhand dreier philosophischer Systeme wesentliche Merkmale totatlitärer Systeme beschreiben. Wäre dem nicht so, wäre die Bedeutung des Buches eingeschränkter. Es wäre dann ähnlich bedeutsam wie irgendein Buch über irgendeinen Philosophen / Schriftsteller, von denen es ja Tausende gibt, Nietzsche, Schelling, Schopenhauer, Thomas von Aquin, Hobbes, Ortega y Gasset, Croce, Rousseau, Voltaire etc. etc.. Das kann er wohl nicht gemeint haben und der Erfolg des Buches lässt vermuten, dass es auch nicht so verstanden wurde. Die Frage ist also, welche Aussagekraft hat ein philosophisches System zur Erklärung eines real existierenden Phänomens wie dem Totalitarismus?
a) Die erste These wäre, die können wir aber fix ausschließen, dass sich totalitäre Strömungen an diesen Werken orientieren. Jener Irre aus Österreich also Platon gelesen hat und die SS / SA von den platonischen Wächtern, der Rassismus von den platonischen Rassen von Gold, Silber und Kupfer inspiriert waren und jener Irre sich als platonischer Philosoph fühlte. Die These kann man wohl ausschließen. Man kann sie schon deswegen ausschließen, weil der Irre irgendwie "biologisch" argumentiert, also von einer dumpfen Gemütslage inspiriert war, die typisch war für das Wien jener Zeit und die auch in ähnlichen Ergüssen, wie etwa in "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" von Houston Chamberlain zu finden sind. In A. Haha, Mein Krampf, lesen wir:
Jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen gibt als Produkt ein Mittelding zwischen der Höhe der beiden Eltern. Das heißt also: das Junge wird höher stehen, als die rassisch niedrigere Hälfte des Elternppare, allein nicht so hoch wie die höhere. Folglich wird es im Kampf gegen diese höhere später unterliegen. Solche Paarung widerspricht aber dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des Lebens überhaupt. Die Voraussetzung hierzu liegt nicht im Verbinden von Höher- und Minderwertigem, sondern im restlosen Siege des ersteren. Der Stärkere hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so die eigene Größe zu opfern. |
Der Schwachsinn war also Allgemeingut. Wenn überhaupt, dann wird umgekehrt ein Schuh draus. Wenn jeder Trottel das in jeder Kneipe erzählt, dann spricht das nicht gerade für die Orginalität des philosophischen Systems. Platon und Aristoteles mögen ja nicht alle Tassen im Schrank gehabt haben, aber für die totalitären Systeme neueren Datums waren sie durchaus entbehrlich. In dem Buch Mein Krampf von Haha sind alle Elemente totalitärer Herrschaft beschrieben. Weil diesen Schwachsinn wahrscheinlich sogar ein paar Leute gelesen haben, gäbe es hier eher eine Möglichkeit, in die seelische Hölle hinabzusteigen, wo diese Brühe gekocht wird.
Dass irgendjemand von den MfS Fuzzis Hegel gelesen hat, hält der Autor für ausgeschlossen. Dafür ist der Text viel zu kompliziert und das gleiche gilt auch für Marx. Da der Autor schon ehemalige Professoren für Wirtschaft, also Ökonomen, die während der Zeit des real existierenden Sozialismus doziert haben, unterrichtet hat, weiß er, dass diese im Grunde Null Plan hatten, was in den drei Bänden von Karl Marx steht. Der Autor würde eine andere These vorschlagen. Die Unverständlichkeit von Karl Marx war die eigentlich Waffe. Da niemand das Teil tatsächlich gelesen, geschweige denn verstanden hatte, konnte der Eindruck erweckt werden, dass jeder die hehren Ziele der sozialistischen Gesellschaft einsehen würde, wenn er denn das Marxsche Geschwurbel verstünde. Jeder Kritiker konnte als mit dem Argument mundtot gemacht werden, dass er noch nicht tief genug eingedrungen sei in die Theorie der sozialistischen Gesellschaft. Eine Strategie, die man leicht hätte aushebeln können, denn darüber, wie eine sozialistische Planwirtschaft im Detail zu gestalten sei, steht in den drei Bänden von Karl Murks nix.
Sieht Popper aber in Platon tatsächlich einen Philosophen, der das theoretische Rüstzeug für den Nationalsozialismus lieferte, dann hätte er auch direkt Mein Krampf analysieren können.
Nochmal: Damit Marx, Hegel und Platon den ideologischen Überbau eines totalitären Staates liefern können, müssen diese Konzepte zumindest bei dem Führungspersonal bekannt sein. Das können wir aber unbesehen ausschließen.
b) Denkbar wäre, dass es zwischen den genannten philosophischen Systemen und totalitären Ideologien zwar keine Interaktion gibt, diese aber die wesentlichen Elemente totalitärer Herrschaft beschreiben. So etwas ist vorstellbar. In Goethes Faust zum Beispiel wird das gegenwärtige Bildungssystem recht zutreffend beschrieben, wenn auch die eigentliche Intention der Lehrpläne, eben dieses durch dieses Werk zu verändern, nicht erreicht wird.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!
Goethe, Faust
Da sind die Oberstudienräder recht treffend beschrieben, was aber nicht wirklich hilft.
Das Problem bei dieser Sichtweise ist, das trifft auf die meisten Ansätze der Totalitarismus Theorie zu, dass die reine Konstatierung eines Faktums, also die Feststellung, dass Rassismus, Nationalismus, Führerkult etc. wesentliche Merkmale totalitärer Systeme sind, nicht ausreicht, um in die seelische Hölle, wo ein solcher Wahnsinn ausgebrütet wird, hinabzusteigen. Das Problem ist also das gleiche wie oben. Wir können das Phänomen mit dieser Methode nicht verstehen.
Anders formuliert: Popper ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus. Inhalte sind aber für totalitäre Staaten völlig irrelevant. Im übrigen ließe sich die Reihe totalitärer Ideologien beliebig fortsetzen. Religiöser Fundamentalismus gehört zum Beispiel auch dazu, wenn wir unter totalitär, im Sinne von Hannah Arendt, Systeme verstehen, bei der alle Bereiche des sozialen Lebens, Wirtschaft, Kunst, Bildung, Freizeit zentral gelenkt werden.
Hiergegen kann man einwenden, das ist wohl die Ansicht Poppers, dass wir das Phänomen auch gar nicht verstehen wollen, wir wollen es nur verhindern. Um es zu verhindern reicht es, dass wir eine Staatsform wählen, die sich alle paar Jahre dem Votum der Wähler stellen muss und eine institutionelle Verankerung von Grundrechten, die schlicht nie und unter keinen Umständen außer Kraft gesetzt werden kann.
Das ist im Wesentlichen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings plädiert der Autor dann bei den Basics für knallharte Formulierungen in Gesetzestexten. Es kann da Probleme geben. Wir gehen darauf intensiver auf der www.recht-eigenartig.de ein. An der Kontrolle und der Qualifikation der Richter kann man noch arbeiten, etwa durch eine systematische Veröffentlichung von Urteilen mit Namen der entsprechenden Richter. Über ein solches Projekt denkt die infos24 GmbH gegenwärtig nach.
Die Unabhängigkeit der Richter heißt auf Deutsch, dass diese weder in fachlicher, noch charakterlicher Hinsicht von irgendjemandem kontrolliert werden. Das gesamte System beruht auf der moralischen Integrität des Personals ohne jede Kontrolle. Das ist eine Lösung, an deren Effizienz kein Volkswirt glaubt. Volkswirten läuft ein Schauder über den Rücken, wenn ein System sich völlig auf die moralische Integrität der Wirtschaftssubjekte verlassen soll. Eine Veröffentlichung der Urteile mit Namen im Internet würde es der Öffentlichkeit erlauben, sich ein Urteil über die Qualifikation und charakterliche Eignung des Personals zu bilden und offensichtliche Fehler, bis zur schlichten Nichtbeherrschung des "juristischen Handwerkzeuges" offenlegen. Die richterliche Unabhängigkeit kann dann ruhig aufrecht erhalten werden, diese Kontrolle wäre ausreichend.
Dass wir noch ein paar andere Maßnahmen zur Stabilisierung der Demokratie als notwendig erachten, z.B. ein Bildungssystem, dass alle in die Lage versetzt, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu beurteilen, haben wir bereits so gefühlte Tausend Mal erwähnt. Das läuft letztlich auf die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems hinaus.
Selbst wenn man konzedieren würde, was der Autor nicht tut, dass die hohen Weihen gymnasialer Bildung nur einer genetisch prädestinierten Schicht vorbehalten ist, eine Sichtweise, die den Schwerpunkt auf die genetische Disposition legt und didaktische Aspekte vernachlässigt, ist kaum einzusehen, warum Leute, die diese genetische Disposition nicht haben, weniger Jahre zur Schule gehen. Man könnte genau so gut umgekehrt argumentieren. Steht das Ziel fest, dann muss man bei der entsprechenden genetischen Disposition eben hinnehmen, dass manche Leute zur Erreichung dieses Zieles länger brauchen.
Die gegenwärtige Diskussion läuft aber anders. Das Ziel ergibt sich irgendwie aus der genetischen Disposition.
Desweiteren brauchen wir die Fakten und Entscheidungsgrundlagen, die wirtschaftspolitischen Entscheidungen zugrunde liegen, siehe die journaille und die Volkswirtschaftslehre.
Last not least kann man das Problem sehen, dass die Kulturindustrie die Leute davon abhält, sich mit dem zu beschäftigen, was eigentlich ihre Sache wäre, wie Adorno, siehe Kulturindustrie oder Aufklärung als Massenbetrug, das formulierte.
Fazit: In diesem Fall könnte man sagen, dass die Systeme, also Hegel, Marx, Platon, dem politischen Personal zwar nicht bekannt waren, diese Systeme aber diese Systeme das Wesenhafte totalitärer Staaten beschreiben.
Bekanntlich grübeln wir nun schon seit fast siebzig Jahren über der Frage, wie sich totalitäre Systeme, insbesondere der Nationalsozialismus bilden konnten, wobei der Fortschritt doch ziemlich dicht bei Null liegt. Platon, Hegel und Marx hilft uns da auch nicht weiter und obendrein passt die These Poppers, dass totalitäre Systeme auf einen Endzustand zusteuern, auf den Nationalsozialismus nicht, denn die nationalsozialistische Ideologie visierte gar keinen Endzustand an. Der Krieg hat in dieser Ideologie nicht den Zweck, einen Endzustand zu erreichen, der Krieg selbst ist der Zweck. Der anvisierte Endzustand bleibt undefiniert.
Charakteristisch für totalitäre Staaten ist die Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv, was dann besonders gut gelingt, wenn es gar keine Individuen mehr gibt. Der Autor würde sagen, dass dies die Hölle ist, in die man hinableuchten muss, wenn man das Phänomen erklären will. Das ist die Konstante in Mein Krampf von Haha.
Der Staat ist ein Mittel zum Zweck. Sein Zweck liegt in der Erhaltung und Förderung einer Gemeinschaft physisch und seelisch gleichartiger Lebewesen. Diese Erhaltung selber umfasst erstlich den rassenmäßigen Bestand und gestattet dadurch die freie Entwicklung aller in dieser Rasse schlummernden Kräfte. Von ihnen wird immer wieder ein Teil in erster Linie der Erhaltung der physischen Lebens dienen und nur der andere der Förderung einer geistigen Weiterentwicklung. Tatsächlich schafft aber immer der eine die Voraussetzung für das andere. Staaten, die nicht diesem Zwecke dienen, sind Fehlerscheinungen, ja Mißgeburten. Die Tatsache ihres Bestehens ändert so wenig daran, als etwa der Erfolg einer Flibustiergemeinschaft die Räuberei zu rechtfertigen vermag. |
Und weiter unten.
Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein. |
Diese glücklose Kollektiv wird als geschichtliche Konstante gedacht, als etwas prinzipiell "Andersartiges" dessen "Reinheit des Blutes" unbedingt aufrechtzuerhalten ist.
Selbst in alldeutschen Kreisen konnte man damals die Meinung hören, daß dem österreichischen Deutschtum unter fördernder Mithilfe der Regierung sehr wohl eine Germanisation des österreichischen Slawentums gelingen könnte, wobei man sich nicht im geringsten darüber klar wurde, dass Germanisation nur am Boden vorgenommen werden kann und niemals an Menschen. Denn was man im allgemeinen unter diesem Wort verstand, war nur die äußerliche Annahme der deutschen Sprache. Es ist aber ein kaum faßlicher Denkfehler, zu glauben, daß, sagen wir aus einem Neger oder einem Chinesen ein Germane wird, weil er Deutsch lernt und bereit ist, künftighin die deutsche Sprache zu sprechen und etwa einer deutschen politischen Partei seine Stimme zu geben. Daß jede solche Germanisation in Wirklichkeit eine Entgermanisation ist, wurde unserer bürgerlichen nationalen Welt niemals klar. Denn wenn heute durch das Oktroyieren einer allgemeinen Sprache bisher sichtbar in die Augen springenden Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern überbrückt und endlich verwischt werden, so bedeutet dies den Beginn einer Bastardisierung und damit in unserem Fall nicht eine Germanisierung, sondern eine Vernichtung des germanischen Elementes. Es kommt in der Geschichte nur zu häufig vor, daß es den äußeren Machtmitteln eines Eroberervolkes zwar gelingt, den Unterdrückten ihre Sprache aufzuzwingen, daß aber nach tausend Jahren ihre Sprache von einem anderen Volk geredet wird und die Sieger dadurch zu den eigentlichen Besiegten werden. |
Das mag ja streckenweise wie Platon klingen, aber es gibt einen Unterschied. Dieser Quatsch wurde schon vor der Machtergreifung
214 000 Mal verkauft und erreichte bis 1939, nachdem es von den Standesämtern kostenlos verteilt wurde, eine Auflage von 5,5 Millionen.
Die Interpretation solcher Sätze kann man jetzt natürlich mit der gleichen Methode durchführen, wie man normalerweise literarische Texte interpretiert, also "intuitiv". Der Leser kann sich dann aussuchen, ob man durch eine "intuitive" Intepretation eines für den Totalitarismus tatsächlichen maßgeblichen Textes nicht mehr erfährt über den Totalitarismus, als über die Darstellung dreier philosophischer Systeme. Bevor wir zu dieser "intuitiven" Interpretation schreiten, noch kurz ein anderes Beispiel, diesmal aus dem real existierenden Sozialismus. Die "sozialistische Persönlichkeit" ist vor allem keine Persönlichkeit mehr, das Individuum hat sich aufgelöst im Kollektiv.
§ 1
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Beiden System gemeinsam ist also die völlige Dominanz des Kollektivs gegenüber dem Individuum. Was im Nationalsozialismus die Rasse, ist im Sozialismus die Arbeiterklasse. In den jeweiligen Kollektiven soll das Individuum vollkommen "aufgehen". Beide definieren sich weniger durch die Gesellschaftsform, die sie anstreben, als durch ein Feindbild. Im Nationalsozialismus sind es andere Rassen, im Sozialismus die Imperialisten.
Popper würde nun sagen, dass der Kollektivismus eine Folge des Historizismus ist, also eine Folge der Vorstellung, dass sich die Gesellschaft zwangläufig in eine bestimmte Richtung entwickeln muss (Sozialismus), bzw. nur eine bestimmte Gesellschaftordnung mit der hypostasierten Gültigkeit eines Sozialdarwinismus übereinstimmt. Wer klare Vorstellung hat, wie die ideale Gesellschaft aussieht, wird versuchen Menschen zu formen, die zu dieser Gesellschaft passen und die unpassenden entweder ausschalten oder umerziehen.
Der Fehler Poppers besteht darin, dass er diese Vorstellung einer idealen Gesellschaftsordnung als das Produkt einer "rationalen" Leistung betrachtet. Für den Sozialismus mag das ursprünglich sogar zutreffen, der Marxismus ist zwar ökonomisch gesehen kompletter Schwachsinn, aber man kann das noch durchaus unter der Kategorie Denkfehler einordnen, auch wenn, nachdem sich das System von seinem rationalen Ursprung gelöst hatte, ein rationaler Diskurs nicht mehr möglich war. Mein Krampf allerdings ist kein "Denkfehler". Dieser ist schlicht Ausdruck wahnhafter Vorstellungen. Von daher würde der Autor auch eher dazu neigen, den Sozialismus und den Faschismus in seinen verschiedenen Ausprägungen nicht in einen Topf zu werfen. Der Sozialismus hat einen rationalen Kern, über den man reden kann und über den man zumindest theoretisch auch hätte reden können. Der Faschismus hat einen solchen Kern nicht. Wir erleben ja auch im Moment, dass sich Sozialisten weiterentwickeln und kritisch über die Vergangenheit reflektieren. Rechtsradikale machen keinen Lernprozess durch, weil ein Lernprozess nur möglich ist, wenn ein System rationalen Argumenten zugänglich ist. In die Hölle der seelischen Verirrung kann nur noch ein Psychiater hinabsteigen.
Einem Marxisten könnte man erklären, zum Beispiel, dass der Preis nicht durch die in der Ware verkörperten Arbeit determininiert ist, sondern zumindest kurzfristig über die Nachfrage. Dass er hier auf dem Holzweg ist, könnte man auch empirisch beweisen. Einem Rechtsradikalen zu erläutern, dass es seinem Germanentum keinen Abbruch tut, wenn er Russisch lernt, und ein Kenyaner sich für Hermann Hesse begeistern kann, ist hingegen ein hoffnungsloses Unterfangen.
Sucht man lediglich nach einem systemischen Ansatz, um totalitäre Systeme zu verhindern, kann man auf der Ebene Popper bleiben. Versucht man totalitäre Systeme tatsächlich zu begreifen, wird es komplizierter. Man verhindert totalitäre Systeme schlicht dadurch, dass Macht nur auf Zeit vergeben wird und diese Macht rational kontrolliert wird.
Von den groben Pauschalisierungen eines Hayek ist Popper weit, sehr weit entfernt. Allerdings kann die Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus zu einer totalen Fehleinschätzung führen. Soziale Bewegungen in Nicaragua, Salvador, Cuba, Guatemala, Brasilien etc. etc. sollte man dann doch differenzierter betrachten. Holzschnittartige Betrachtungen bringen da wenig. Es gibt kaum ein Thema, zu dem es mehr Literatur gibt, als zum Kalten Krieg.
Will man den Totalitarismus begreifen, müsste man versuchen das Verhalten der Menschen in totalitären Systemen zu begreifen. Allerdings erklärt auch das alles so gut wie gar nichts. Ein Problem ist, dass Menschen systemisch agieren und Dinge nur insoweit hinterfragen, wie sie unmittelbar betroffen sind.
Der Autor hatte zum Beispiel mal eine Teilnehmerin in einem seiner Informatikkurse, eine wirklich nette Frau, die aus Russland stammte, die sich zur Zeit der Sowjetunion damit beschäftigte, sich auszurechnen, wann eine Atombombe in der Luft explodieren muss, um die maximale Wirkung zu erreichen.
Ihre Tätigkeit war keineswegs, in ihrer subjektiven Wahrnehmung, gegen den Kapitalismus gerichtet. Solche philosophischen Debatten waren ihr schlicht egal. Es ist auch, ein anderer Fall, einem ehemaligen Hubschrauber Pilot der NVA schlicht egal, wohin er fliegt und ein Tornado Pilot der Bundeswehr fliegt halt gerne Tornados. Hinzukommt, dass bei militärischen Organisationen die systemische Verhaltensweise, das heißt ein Verhalten, dass innerhalb eines Systems berechenbar ist, das System selbst aber nicht reflektiert, sozusagen Programm ist. Solche Systeme werden auch immer Leute anziehen, die gar nicht allzuviel nachdenken wollen. Das ist eine allgemeine Verhaltensweise, die bei der Stabilisierung totalitärer Systeme hilfreich ist. Man kann mit solchen Leuten schlecht diskutieren, denn sie finden, dass ihr Verhalten höchst rational war, was sogar, betrachtet man den Vorgang systemisch, zutrifft.
Totalitäre Herrschaft wird allgemein als Phänomen der Neuzeit betrachtet. Es bezeichnet, im weitesten Sinn, alle politischen Strömungen, die darauf abzielen, die Alleinherrschaft zu erlangen, jede Opposition zu eliminieren, sich über ein klares Feindbild definieren und die Gesellschaft in allen Bereichen durchdringen. Damit ist aber über die Motive der totalen Herrschaft noch nichts gesagt. Popper unterstellt, dass das Motiv die Verwirklichung einer "idealen" Gesellschaft ist. Das mag bei Platon und Marx so gewesen sein. Was den Nationalsozialismus angeht, würde man eher kriminelle Energie und eine gehörige Portion Wahnsinn als Motiv vermuten.
Entscheidend für totalitäre Systeme ist weder der Inhalt noch das Ziel. Entscheidend sind die Methoden, mit denen diese totale Herrschaft erlangt wird. Die Erklärungskraft einer inhaltlichen Analyse der Ziele totalitärer System wie sie Popper vorlegt, ist ähnlich sinnvoll wie die Analyse militärischer Strukturen anhand gesellschaftspolitischer Ziele. Gesellschaftspolitische Ziele sind für solche Apparate irrelevant. Will man sie verstehen, muss man analysieren wie sie organisiert sind. Die Integration der NVA in die Bundeswehr war möglich, weil sie weitgehend strukturgleich organisiert waren und Ziele keine Rolle spielten. Der Trick hätte genau so problemlos auch umgekehrt funktioniert.
Wenn man aber zwei Thesen akzeptiert, a) dass das Verhalten von Menschen systemisch bedingt ist und nicht auf ein großes ideelles Ziel ausgerichtet ist, und b) dass das "Böse" schlicht schrecklich banal ist, Täter also weder Sadisten noch Mörder sind, sondern schlicht Bürokraten, wie Hanna Arendt schreibt ("Die Banalität des Bösen"), sind, dann wäre erstmal zu vermuten, dass sie ihren Tätigkeiten mit geringem Engagement nachgehen. These a) und b) lassen sich eigentlich auch ganz gut vereinen. Systemisch handelt, wer sich systemkonform verhält. Es ist also keineswegs notwendig, dass die Handelnden dem finalen Ziel, weches das System verfolgt, eine besondere Bedeutung zumessen. Sie führen schlicht Befehle aus. (Wobei die These Hanna Arendts in Bezug auf Eichmann gar nicht zutrifft. Dieser war tatsächlich, wie Tonaufnahmen aus seiner Zeit in Argentinien zeigen, wirklich ein Antisemit. Er teilte also die Überzeugungen des Systems. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Theorie von Hannah Arendt auf viele Täter zutrifft.) Wenn aber Menschen über abstrakte Ziele nicht motivierbar sind, muss es totalitären Systemen gelingen, entweder über Terror oder über Belohnung ein systemkonformes Verhalten zu erzwingen. Es bedarf also eines ausgeklügelten Systems, das die belohnt, die den Terror ausüben und die sanktioniert, die sich nicht systemkonform verhalten.
In der Philosophie und Soziologie werden totalitäre Systeme meist unter dem Aspekt diskutiert, inwieweit sie sich durch eine Änderung der Individuen verhindern lassen. Darauf zielt das Zitat Poppers, siehe Karl Popper über das Bildungssystem und darauf zielen auch die zahlreichen Bemerkungen Adornos zu diesem Thema in zum Beispiel dem kleinen Büchlein "Erziehung zur Mündigkeit". Unter anderem wird kritisiert, dass Bildung kein Wert "an sich" ist, seinen Wert lediglich durch den Zuwachs an Prestige und Einkommen erhält, das es dem Besitzer einbringt. Damit ist der Anker der Bildung nicht ein übergeordnetes Ziel, sondern sein systemischer Wert. Dadurch wird Bildung auch zu Zwecken der Manipulation verwendbar. Schafft es ein Bildungssystem z.B. die erlauchten Werke eines Stalin oder Mein Krampf als Kanon zu etablieren, dann wird es "rational" sich dieses "Herrschaftswissen" anzueignen und zwar unabhängig davon, dass die Leute "persönlich", diese Werke völlig langweilig finden. Wieviele Leute in der DDR die drei blauen Bände von Karl Murx im Regal hatten, wurde nach der Wende deutlich. Auf Flohmärkten und in Antiquariaten konnte man diesen Kram tonnenweise kaufen zu Preisen, für die man nicht mal Kohle bekommen hätte.
Es müssen nicht immer die ganz großen Themen sein, also z.B. die Verhinderung totalitärer Systeme, die diesen Zusammenhang relevant erscheinen lassen. Relevant kann es auch sein im gemütlichen Alltag. Bestimmte Sprachen z.B. sind systemisch wertvoll, also Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, andere systemisch wertlos, z.B. Türkisch, Arabisch, Russisch. Würde man mehr Sprachen im Bildungssystem zulassen, die man teilweise nicht mal unterrichten müsste, weil bei vielen Mitbürgern "nichtdeutscher" Herkunft diese Sprachen schlicht Muttersprachen sind, die Kenntnis müsste also lediglich über eine Uni testiert, aber nicht vermittelt werden, hätte dies Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, wenn diese Sprachen als zweite Fremdsprache anerkannt würden.
Dagegen wehrt man sich mit einem allgemeinen Geschwurbel über "Kultursprachen", was ja impliziert, dass es auch das Gegenteil von Kultursprachen gibt. Ein hübsches Beispiel für so einen Interessensvertreter haben wir hier, siehe Mehrsprachigkeit als Bedingung geisteswissenschaftlicher Produktivität und die Aufgabe einer Hierarchisierung der europäischen Sprachen. Der Mann ist Professor für Romanistik und hat zwei Probleme. Erstens, dass im Wissenschaftsbereich Englisch dominiert, was alternativlos ist, denn irgendwie muss die weltweite wissenschaftliche Community ja kommunizieren und zweitens sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzt, dass eben auch Chinesisch, Japanisch, Russisch, Arabisch an Bedeutung gewinnen, was zu Lasten der romanischen Sprachen gehen wird, die jetzt noch, von dem völlig dominierenden Englisch abgesehen, der Standard sind. Der Autor allerdings ist nur beeindruckt von Leuten, die Quetchua, Suhaeli oder Malayalam sprechen. Der Autor ist tief beeindruckt von Leuten, die etwas können, was systemisch wertlos ist.
(Damit wir uns nicht missverstehen. Der Autor ist der Verfasser der drei umfassendsten Grammatiken zur spanischen (www.spanisch-lehrbuch.de), Italienisch (www.italienisch-lehrbuch.de) und Französisch (www.franzoesisch-lehrbuch.de). Er hat nichts gegen romanische Sprachen, im Gegenteil. Allerdings sollte man nicht verneinen, dass jenseits der Oder auch nicht viele spannende Dinge passieren.)
Der Autor hat lange Zeit vermutet, dass es einen großen Bereich gibt, wo Leute "intuitiv" eine Schieflage ahnen. Bei dem Versuch, Deutschlehrer in die deutsche Literatur einzuführen, hat er aber feststellen müssen, dass dieser Bereich offensichtlich sehr dünn ist. Es ist Deutschlehrern nur schwer zu vermitteln, dass zwischen einem 100 Meter Lauf, bei dem man sich naheliegenderweise gegen andere durchsetzen muss, das ist ja das Ziel und das Kriterium für Erfolg und der Analyse eines literarischen Werkes nicht nur methodische Unterschiede bestehen.
Deutschlehrer konzedieren allerhöchstens, wenn auch widerwillig, dass die Art der Bewertung, also die Messung der Überlegenheit / Unterlegenheit im Vergleich zu anderen, nicht die gleiche Objektivität besitzt, erkennen aber nicht den prinzipiellen Unterschied. Zwischen 100 m Lauf in 12,3 Sekunden und Goethes Faust 2,5 können sie keinen Unterschied erkennen. Es ist strukturell für sie das gleiche und systemisch betrachtet ist es auch das Gleiche.
Erst wenn man ihnen klar macht, dass Bildungsinhalte dann beliebig werden, dämmert es ihnen allmählich, dass es eben nur systemisch das Gleiche ist. In dem Moment in dem Bildung kein absolute Bedeutung mehr hat, sondern nur noch eine systemische, ließe sich Goethes Faust auch durch ein Telefonbuch ersetzen. Klingt banal, aber viele Oberstudienräder erkennen das nicht. Man muss es ihnen erklären. "Intuitiv" ist wohl eine Ebene, die auf individuelle, persönliche Erfahrungen rekurriert. Diese Schicht der individuellen Erfahrung ist sehr dünn.
Auch beim Telefonbuch ergäben sich erhebliche Unterschiede in der Fähigkeit, dieses auswendig zu lernen. Der systemische Ansatz macht Bildung beliebig und relativiert sie. Ohne absoluten Bezug, verliert sie ihren Wert. Als rein sportliches Ereignis, kann sie auch keine Werte vermitteln, weil diese Werte eben nur systemisch relevant sind.
Offiziell zumindest haben die gesellschaftswissenschaftlichen und sprachlichen Fächer aber Ziele. Und da haut es einen manchmal schon vom Hocker.
Der Lateinunterricht erschließt den Schülerinnen und Schülern einen fundierten Zugang zur europäischen Kulturtradition, stärkt das historische Bewusstsein und leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung einer gemeinsamen europäischen Identität. Im Lateinuntericht kann man erkennen, woher wir Europäer kommen und was uns bis heute verbindet. Der Lateinuntericht ist daher ein bedeutendes europäisches Grundlagenfach. |
und weiter unten
Schule hat nicht nur die Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern fundiertes Sachwissen zu vermitteln, sondern soll vor allem die persönliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen unterstützen und fördern. Hierzu zählen z. B. die Entwicklung von Werthaltungen, die Förderung von Verantwortungbewusstsein für sich selbst und andere und die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Entwicklung von Selbstbewusstsein. Zu diesen zentralen Aufgaben der Schule kann der Lateinunterricht wertvolle Beiträge leisten: In den im Unterricht behandelten lateinischen Texten aus Antike, Mittelalter und Neuzeit werden immer wieder grundlegende Fragen menschlicher Existenz aufgeworfen. |
So ähnlich tönten wohl auch die Lehrpläne in der Weimarer Republik. Das Gedöns mit europäischer Kulturtradition, europäischer Identität und bedeutendem europäischen Grundlagenfach ist dann wohl dem Zeitgeist geschuldet. Das Problem war, es hat wohl nicht geholfen. Der Wert des Lateins ergibt sich aus seiner systemischen Bedeutung, nicht aus einem absoluten Wert. Die Werte waren und sind beliebig. Das Selbst-Bewußtsein ging problemlos im kollektiven Marschieren unter.
Was wir tatsächlich durch Latein und ähnliche Fächer erhalten, sind ungebildete Plapperheinis und eine unendliche Phrasendrescherei. Was ist ein "historisches Bewußtsein" und wieso soll für die Vermittlung desselben eine Sprache geeigneter sein als eine andere?
Der Autor will ja nicht moralinsauer daherkommen, aber manchmal verrät auch die Sprache das neutralisierte Bewußtsein, dem es egal ist, woran es sich begeistert, wie Adorno das so treffend formulierte.
Und glauben die Jungs und Mädels ganz ernsthaft, dass sich im Zeitalter des Internets noch irgendjemand für die "europäische Identität" interessiert, was immer das konkret bedeuten mag? Glauben sie ernsthaft, dass das Hochkochen uralter Vorurteile, wie wir es im Moment, im Zuge der europäischen Finanz-, Euro-, Schuldenkrise erleben, durch Cicero und Caesar verhindert werden kann? Da würde der Autor eher vermuten, dass Keynes uns da weiterbringt.
Und was wollen uns die Dichter sagen, wenn sie und mitteilen, dass Latein das "Verantwortungsbewußtsein" fördere? Wodurch? Wie genau? Und sind Leute ohne großes Latinum weniger verantwortungsbewusst? Auf jeden Fall sollen das alles zentrale Aufgaben der Schulen sein. Was fehlt ist der empirische Nachweis, dass dies auch gelingt. Der Autor denkt da eher an Goethe.
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
Goethe, Faust
Wir würden ja gar nicht den Versuch starten, die Gefahr totalitärer Systeme durch eine Änderung der Individuen bannen zu wollen. (Mal abgesehen davon, dass die Gefahr eines solchen brachialen Absturzes heute nicht mehr vorliegt.) Dieses Problem lässt sich nur institutionell lösen. Aber naheliegend ist, und dieser Zusammenhang ist auch unter "zivilen" Bedingungen relevant, dass ein systemisches Verhalten, in dem alles nur noch einen systemischen Wert hat, das Individuum dazu zwingt, sich systemkonform zu verhalten und es damit letztlich auslöscht. Um es extrem auszudrücken: Ein Diogenes in seinem Fass ist nicht korrumpierbar. Oder mit Popper:
Wir müssen lernen, unsere Arbeit zu tun, unsere Opfer um dieser Arbeit willen zu bringen und nicht um des Ruhmes willen oder um die Schande zu vermeiden. |
Die Arbeit soll also getan werden, auch wenn sie keinen systemischen Wert hat.
Das wäre eine Option, die wird sich aber didaktisch nur schwer umsetzen lassen. Der Autor würde also eher ein neues Fremdwort in das institutionalisierte Bildungssystem einführen, etwas sehr Konkretes, nichts von Werten, europäischer Identität, Kulturtradition und blabla. Etwas sehr Sinnliches, konkret Erfahrbares: Glück. Der Autor vermutet, dass es sehr schwierig ist, Menschen zu korrumpieren, deren Glück gar nicht von einem systemischen Erfolg abhängt.
Auch das wäre ein didaktisches Programm, das schwierig umzusetzen ist, weil wir hierzu eine komplizierte Maschine am Laufen halten müssen und Leute lernen müssen individuell und gesamtgesellschaftlich in offenen Horizonten zu denken, Wege Irrwege sein können und immer wieder neue Wege beschritten werden müssen. Gesamtgesellschaftlich und individuell. Aber dieses Programm wäre didaktisch leichter zu vermitteln, als irgendwelches Blabla.
Insbesondere ist die Idee, dass nur Konkurrenz Leistung hervorbringt, das ist ja die Grundthese des Bildungssystems, ein bisschen old economy. Unabhängig von der Frage, dass damit Bildunginhalte beliebig und damit wertlos werden.
Zumindest kleine Unternehmen sind davon abhängig, ein Umfeld zu finden, wo ein gemeinsamer "Geist" vorhanden ist, also Leute zu finden, wo die Durchsetzung eines Projektes und die Begeisterung für eine Idee mindestens so ausgeprägt ist, wie finanzielle Aspekte. Im Vordergrund steht dann Kooperation und nicht Konkurrenz. Und je mehr eine Gesellschaft zu einer Wissensgesellschaft wird, desto mehr ist sie auf Kooperation angewiesen. Kapital bedeutet heute, Wissen einkaufen zu können. Die Alternative dazu ist, sich zu Wissensnetzen zusammenzuschließen. Das mag den Leuten abstrakt und abgehoben vorkommen, doch damit verdient der Autor sein Geld. Ganz konkret im hic et nunc. Er konkurriert mit niemandem, kooperiert aber mit vielen.
Es fällt auch relativ wenig Leuten auf, dass die gesamte Software des Internets in solchen Netzwerken entstanden ist und da reden wir nicht über Peanuts. Da reden wir über Billionenwerte in Euro.
Wir können nicht auf alle Aspekte des Werkes "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" eingehen. Nebenbei finden wir dort noch einige Seitenhiebe gegen die Geschichte als Wissenschaft, die uns in unserem Glauben an das "historische Bewußtsein", siehe oben, auch nicht gerade bestärkt. Die Idee ist dem Autor im Verlaufe seine Geschichtsstudiums, nebenbei hat er noch Geschichte studiert, auch öfter durch den Kopf geschossen.
In der Tat, es gibt keine Geschichte der Menschheit, es gibt nur eine unbegrenzte Anzahl von Geschichten, die alle möglichen Aspekte des menschlichen Lebens betreffen. Und eine davon ist die Geschichte der politischen Macht. Sie wird zur Weltgeschichte erhoben. Aber das ist eine Beleidigung jeder sittlichen Auffassung von der Menschheit. Es ist kaum besser, als wenn man die Geschichte der Unterschlagung oder des Raubes oder des Giftmordes zur Geschichte der Menschheit machen wollte. Denn die Geschichte der Machtpolitik ist nichts anderes als die Geschichte der nationalen und internationalen Verbrechen und Massenmorde (einige Versuche zu ihrer Unterdrückung eingeschlossen.) Diese Geschichte wird in der Schule gelehrt, und einige der größten Verbrecher werden als ihre Helden gefeiert.
Aber gibt es wirklich eine Univeralgeschichte im Sinne einer konkreten Geschichte der Menschheit? Eine solche Geschichte kann es nicht geben. Dies muss die Antwort eines jedes humanitär gesinnten Menschen und insbesondere eines jedes Christen sein.Eine konkrete Geschichte der Menschheit - wenn es sie gäbe - müsste die Geschichte aller Menschen sein. Sie müsste die Geschichte aller menschlichen Hoffnungen, Kämpfe und Leiden sein. Denn kein Mensch ist wichtiger als irgendein anderer. |
Der Schwerpunkt der Geschichte, also das was man in Geschichtsbüchern aller Art findet, ist die Geschichte von "bedeutenden Ereignissen", bzw. das, was im Nachhinein als bedeutsam empfunden wird. Mit "bedeutenden" Ereignissen verbinden sich meist "bedeutende" Persönlichkeiten, die die Macht hatten, eben solche "bedeutenden" Ereignisse herbeizuführen, ganz überwiegend Kriege. Die meisten Periodisierungen beziehen sich ja auf Kriege. Vor dem ersten Weltkrieg, nach dem zweiten Weltkrieg, vor / nach den punischen Kriegen, vor nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 etc. etc.. Sinnvoller wäre natürlich eine Einteilung wie vor und nach der Erfindung der Dampfmaschine, vor und nach der Erfindung des Verbrennungsmotors, vor und nach der Luftfahrt etc.. Dies wäre insbesondere deswegen sinnvoller, weil sowohl das Ereignis selbst wie auch der Ausgang dieses Ereignisses lediglich das Resultat anderer Prozesse ist. Nicht das Ereignis ist interessant, sondern die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Prozesse, die zu dem Ereignis führten und das Ergebnis determinierten.
Die übliche Unterscheidung zwischen Anlaß und Ursache ist eine Trivialität. Es erklärt nichts, wenn man die Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo am 28. Juni 1914 als Anlass für den ersten Weltkrieg nimmt, territoriale Ansprüche der verschiedenen Mächte (den Platz an der Sonne wie Wilhelm II das nannte) als die eigentliche Ursache. Letztlich verstecken sich hinter dem Bestreben Kolonien zu erwerben Vorstellungen über die wirtschaftliche Entwicklung (die Idee, dass man durch Kolonien reich wird, was ja offensichtlich nicht zutrifft), Selbstwahrnehmung im Vergleich zu anderen Nationen und Kulturräumen, Vorstellungen über Volk und Vaterland etc. etc.. Das wären die eigentlich interessanten Zusammenhänge. Die Eroberung von Ländern um Rohstofflieferungen zu sichern kann man sich glatt sparen, wenn man die Transportkosten senken kann. Die eigentliche Krux ist nicht die Produktion dieser Rohstoffe, sondern deren Transport.
Die Jungs und Mädels von der Altphilologenfront sind eher so die Kategorie Wagner in Goethes Faust. Wobei dies ein hübsches Beispiel ist, für die völlige Wirkungslosigkeit des Bildungssystems. Goethes Faust wird immer gelesen in der Schule, aber irgendwie hilft das nicht.
Wagner:
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
Faust:
O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
Die Figur des Wagner wäre ausbaufähig. Was irgendwann ein Cicero und Caesar gedacht hat, mitsamt dem Sammelsurium an intelligenten Sprüchen, hält Wagner, da ist ganz Altphilologe, für vorbildhaft. Allerdings hält der Autor die Figur so für psychologisch wenig plausibel. Der Autor glaubt nicht daran, dass Pedanten sich an Worthülsen ob ihres absoluten Wertes willen begeistern. Wagner will Uni Prof werden. Nur systemisch, hat sein Gebrabbel Sinn. Faust erkennt messerscharf, dass Geschichte immer eine bewusst oder unbewusste Auswahl an GESCHICHTEN ist. Es muss sich hierbei nicht mal um Hagiographien handeln, wie Faust das unterstellt. Verfälschung findet schon allein durch die Methode statt. Allerdings ist Wagner noch ein bisschen heller, als das, was heutzutage als Geisteswissenschaftler durch die universitären Flure schlurft.
Wagner:
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht jeglicher doch was davon erkennen.
Faust:
Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen's diesmal unterbrechen.
Wagner möchte also des Menschen Herz und Geist erkennen, also sozusagen das "Bewußtsein", wie das die Altphilogen nennen. Er will also hinter die Fassade der Ereignisse blicken. Das kann ganz sinnvoll sein, den wir können so lernen, dass das noch nicht Dagewesene ein mindestens so großer Raum ist, wie das schon Dagewesene, wie Ernst Bloch in Prinzip Hoffnung das formulierte. Faust allerdings geht davon aus, dass die Leute in vergangenen Zeiten sich davor gehütet haben, irgendjemandem ihr Herz auszuschütten.
Aber irgendwie reden die zwei aneinander vorbei. Faust argumentiert "intuitiv". Wagner ist der Typ Oberstudienrat, da muss man dann schon mit dem Hammer argumentieren, sonst wird das nix.
Eine spannende Frage wäre zum Beispiel, weshalb und wie sich Einstellungen ändern. Käme irgendein Durchgeknallter eines griechischen Kleinstaates heute auf die Idee loszumarschieren und alle möglichen Völker zu erobern, würde die UNO intervenieren und Friedenstruppen in Gang setzen, auf jeden Fall würde es heute niemand mehr schaffen, auf diese Art als XX der Große in die Geschichtsbücher einzugehen.
Die Fokusierung auf singuläre Ereignisse und die Personen, die diese herbeigeführt haben ist mit ein Grund, warum wir auch im Grunde über totalitäre Systeme so wenig wissen, obwohl wir perfekt "informiert" sind. Wesentlich spannender als die eigentlich Akteure des dritten Reiches wäre die Familie Maier, Müller, Schulze, Schmidt. Wie erlebte sie die Machtergreifung, wie haben sich Meinungen verändert, inwieweit bestand noch eine kritische Reflexion über das Regime, was band sie an das System. Wie veränderten sich Schulen, Universitäten. Die Fakten sagen soviel über die Toten wie die Grabsteine, nämlich nichts.
Auf jeden Fall scheint sich die Welt der Geisteswissenschaftler an Megatrends anzupassen. Die historische Fakultät Freiburg beschreibt ihren Studiengang so.
Das Geschichtsstudium bietet – wie wir meinen – im Vergleich zu anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien den Vorteil, daß ein konzept- und theoriegeleitetes wissenschaftliches Denken an die Auseinandersetzung mit den Quellen zurückgebunden wird, für die es klare handwerkliche Regeln gibt. Historiker und Historikerinnen sind wegen der Kompetenzen, die sie sich angeeignet haben, daher oft eher in der Lage, sich auch in der Berufswelt außerhalb wissenschaftlicher Einrichtungen zu behaupten als manch andere Geisteswissenschaftler. |
Zu Deutsch: Die haben eigentlich Null Plan was sie machen. Der Autor kann diesem Geschriebsel nur entnehmen, dass Geschichte zur Hirnaufweichung führt. Mal so rein vom Deutsch her: Für wen gibt es klare handwerkliche Regeln? Für die Auseinandersetzung? Und weil es klare handwerkliche Regeln für die Auseinandersetzung gibt, sind Historiker erfolgreicher außerhalb wissenschaftlicher Einrichtungen?
Und dann wird dort noch die Persönlichkeit gebildet, weil man lernt, seine Position plausibel und wirksam zu vertreten?
Wie dem auch immer sei, ein Studium der Geschichte bereitet auf ein Leben in Europa vor, das schadet nie. Also nach einem Studium der Geschichte muss man also auf jeden Fall nicht mehr auswandern, das ist ja schon mal was. Aber auch in so einem Geschwafel können wir in gewisser Hinsicht ein systemisches Verhalten erkennen. Eine nicht systemisches Ziel kann der / die Schreiber(in) wohl nicht erkennen, obwohl man ein solches unschwer liefern könnte.
Zum einen ist Geschichte, in Form von Büchern oder Filmen erstmal ein Produkt, das man verkaufen kann. Dies setzt allerdings voraus, dass man Themen spannend aufbereiten kann und, neuerdings, dass man sie auch für das Internet aufbereiten kann. Hier aber leidet die Geschichtswissenschaft an derselben Krankheit, wie die Volkswirtschaftlehre. Sie produziert für sich selbst. Bücher werden geschrieben für Kollegen, was allerdings keine Kohle bringt. In der Denke wollen Historiker Beamte werden, was dann die Integration in den Arbeitsmarkt erschwert. Zum anderen könnte Geschichte unter Umständen einen Beitrag leisten zur Stabilisierung von Demokratien. Das mit der "Persönlichkeitsbildung" ist natürlich Humbug, irrationaler Hokuspokus. Allerdings ist es unter Umständen möglich, wenn man Prozesse mehr "psychologisch" betrachtet, relevante Erkenntnisse für die Gegenwart zu gewinnen.
Es fällt jetzt nicht besonders schwer, die hier vorgestellten These, nämlich dass formale Bildungsprozesse eben keinen harten individuellen Kern hervorbringen und das nicht vorhandene Individuum problemlos in das Kollektiv einsortiert werden kann, zu belegen. Völlig gleichgültig ist das Thema nicht. Auf der www.recht-eigenartig.de zitieren wir Jutta Limbach, ehemalige Bundesverfassungsrichterin. Sie operiert mit dem Begriff "innere Abwehrkraft", die den Richter auf dem Pfad der Tugend hält. Daran wiederum glaubt der Autor nicht. Er plädiert, wie dort dargestellt, für ein anderes Verfahren.
Für diese These, also dafür, dass das Bildungssystem zu keinem harten individuellen Kern führt, spräche die Tatsache, dass es in nur wenigen Jahren gelang, ein Land, das sich in der Weimarer Republik doch noch an humanitären Zielen ausrichtete, in die vollkommene Barbarei zu führen.
Für diese These spricht eben auch die völlig unproblematische Integration von Massenorganisationen der ehemaligen DDR, wie etwa die Armee, in die parallelen Systeme des Klassenfeindes. Wobei die Tatsache, dass dieses Phänomen gar nicht breit thematisiert wurde, darauf schließen lässt, dass es nicht mal als Problem gesehen wird.
Auch die nicht vorhandene Aufarbeitung der NS Kriegsverbrechen in der BRD der fünfziger Jahre zeigt dasselbe Phänomen. Werte werden nicht absolut gesehen, sondern systemisch.
Die Urteile gegen Deserteure der Wehrmacht wurden im Jahre 2002 (in Worten: ZWEITAUSENDUNDZWEI) aufgehoben, siehe Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege.
Die Aufhebung der Verjährung für Mord und Völkermord war hierbei schon wesentlich strittiger. Erst am 29. März 1979 wurde die Verjährung für Mord und Völkermord gänzlich aufgehoben, zu einem Zeitpunkt also, als nicht mehr allzuviele Prozesse zu erwarten waren.
Es hat also wesentlich länger gedauert, systemische "Verbrechen" zu annulieren als es gebraucht hat, echte Verbrechen zu sanktionieren. Daraus schließt der Autor, dass es viele Leute gibt, für die lediglich systemisch korrektes Verhalten moralisch weit weniger bedenklich erscheint, als das Festhalten an absoluten Werten. Der berühmt berüchtigte Ausspruch Filbingers Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein scheint, wenn auch unbewusst, eine weit verbreitete Gefühlslage zu sein.
Gegen diese These spricht, dass in Einzelfällen an einem bestimmten Verhalten selbst dann noch festgehalten wird, wenn es systemisch keine Vorteile mehr bringt, weil sich das System aufgelöst hat. Ein Beispiel wäre, das schildert Daniel Goldhagen in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker", die von KZ Aufsehern in den letzten Kriegswochen erzwungenen Todesmärsche. Allerdings ist das ein Spezialfall, das ist zumindest die These von Daniel Goldhagen, weil der Antisemitismus tatsächlich ein absoluter "Wert" war. Er bezog seinen "Wert" tatsächlich nicht aus seiner systemischen Bedeutung, diente also nicht nur dem beruflichen Fortkommen, der Legitimation von Raub und dem Ausleben sadistischer Triebe. Hinter dem Antisemitismus stand tatsächlich eine Überzeugung, wenn auch nur eine irrsinnige.
Skurrilerweise sind alle gesellschaftlichen Systeme der Meinung, dass sich Werte und Einstellungen so vermitteln lassen, dass sie für das Individuum konstitutiv sind und auch jenseits der systemischen Bedeutung relevant sind. Diese These dürfte bei den didaktischen Fähigkeiten der heutigen Leerkörper kompletter Schwachsinn sein. Alle Schüler der DDR haben zwar irgendwas gemacht mit Marxismus - Leninismus Geschwurbel, aber kein einziger hat daran noch irgendwelche klaren Erinnerungen, zumindest hat es der Autor noch nie geschafft, jemanden zu finden, der sich daran noch irgendwie erinnern kann. Hängen geblieben ist eigentlich nur, dass die Literatur durch das ganze Marxismus - Leninismus Geschwurbel, irgendwie waren angefangen von Madame Bovary, über Don Quijote, bis zu Aljoscha Karamasoff alle Akteure des gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft, zu einer ziemlich drögen Angelegenheit wurde.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine authentischere, lebendigere, schwurbelfreie Vermittlung von Bildungsinhalten bleibende Eindrücke hinterlassen würde, allerdings wird der Leser dieser Zeilen feststellen, durch die höchst unwissenschaftliche, aber dennoch überzeugende Methode der Introspektion, dass die schulische Vermittlung von Bildungsinhalten einen Effekt so dicht bei Null hatte.
Und wenn man sich die Selbstdarstellungen der Universtitäten so anschaut, dann muss der Betrachter einfach zu dem Ergebnis kommen, dass das nix werden kann.
Der Bachelor-Studiengang 'Germanistik' verfolgt das Ziel, wissenschaftliche Kompetenzen in den drei Fachteilen „Neuere deutsche Literatur“, „Germanistische Linguistik“ und „Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters (Germanistische Mediävistik)“ zu vermitteln. |
Die schaffen es also in dem kurzen Text sechs mal das Wort "wissenschaftlich" unterzubringen. Also bei google würde diese massive Häufung eines Begriffes als Versuch gewertet, seinen Algorithmus in die Irre zu leiten, was google dann mit Nichbeachtung bestraft.
Dann verfolgt der Bachelor Studiengang nur das Ziel, Kompetenzen in "Neuerer deutscher Literatur" zu vermitteln, was wir einsehen, denn selbst in der deutschen Sprache werden nur grundlegende Kenntnisse vermittelt. Irgendwie muss auch die literaturwissenschaftlich fundierte Textanalyse was völlig anderes sein, als die zentralen Prinzipien des professionellen Umgangs mit Texten, denn beides wird explizit genannt, das eine kann also nicht im anderen enthalten sein. Wissenschaftliches Arbeiten ist dann irgendwie wieder was anderes.
Systematische Problemerfassung und Problemlösung schadet auf jeden Fall nie. Selbstorganisation ist auch gut, schließlich muss man sich ja morgens aus der Koje quälen. Persönlichkeitsentwicklung ist immer gut, das machen auch die Historiker, siehe oben. Allerdings ist ein Germanistik Studium keine Vorbereitung auf ein Leben in Europa, also muss man dann auswandern. (Oder in Deutschland bleiben??) Puh! Das wird dann auf Schüler losgelassen. Das kann einfach nix werden.
Gegenbeispiele, also dass es tatsächlich auch absolute Werte gibt, lassen sich finden. In früheren Zeiten zum Beispiel war die Religion, wenn wir die Fälle außer Acht lassen, wo sie lediglich instrumentellen Charakter hatte, also lediglich systemisch sinnvoll, ein solcher Wert.
Vermutlich gibt es sogar irgendwelche Werte, die auch ein totalitäres System nicht abschaffen könnte, die es also folglich unberührt lässt. Nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus sind das aber sehr wenige.
Totalitäre Systeme glauben auf jeden Fall, dass es möglich ist, Menschen so umzugestalten, dass sie eine homogene Masse bilden, wobei sie aber offensichtlich nicht daran glauben, dass man diese Homogenität durch Einsicht erzielen kann, andernfalls wäre ja der Terror unnötig.
Desweiteren glauben sie daran, dass die Homogenität, einmal erreicht, immer bestehen bleibt.
Einen Zusammenhang zwischen einem totalitären System und der Realität der westlichen Industriestaaten gibt es nicht. Die Verfassung der westlichen Industriestaaten entspricht weitgehend dem, was Popper beschreibt.
Einen solchen Zusammenhang sieht auch die Frankfurter Schule, also Adorno et alter, nicht. Allerdings kann man auch in den westlichen Demokratien mangelnde Authentizitiät, also geringe individuelle Verarbeitung, auch in Bereichen konstatieren, die eigentlich der Garant für Authentizität sein sollten.
Beispiele hierfür kann man finden, man kann sie auch dokumentieren, wir haben das mal hier gemacht Divina Commedia. Hier hat etwas systemisch überlebt, die Divina Commedia wird DREI JAHRE lang an italienischen Schulen unterrichtet, was eigentlich nicht so richtig mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Inzwischen gibt es auch Bestrebungen in Italien, das Teil aus dem Verkehr zu ziehen bzw. nicht mehr als "exemplarisch" hinzustellen, siehe Dante razzista, fuori dalle scuole. Der Kasus ist interessant, weil das Teil zwar kein Mensch versteht, das ist Thomas von Aquin in Terzinenform, sich trotzdem aber unendlich viele Leute damit identifizieren. Das ist irgendwie ein Überbau, wie Marx in der ehemaligen DDR. Versteht zwar keiner, aber ist irgendwie systemisch relevant. Auf solche Zusammenhänge hinzuweisen nützt aber exakt gar nichts und ist wohl letztlich auch egal.
Der langen Rede kurzer Sinn. Zwar beschäftigen sich alle Leute, so sie denn nicht Ökönomen, also Leute wie Hayek und Eucken, sind, mit der Frage, wie man totalitäre Systeme durch einen Einfluss auf die Individuen verhindert, aber dieser Weg scheint ziemlich kompliziert sein. Einfacher ist es da, die Demokratie schlicht institutionell zu verankern, was ja auch tatsächlich der Fall ist und stabil funktioniert.
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Denkbar wäre, dass
- totalitäre Systeme von philosophischen Systemen beeinflusst wurden
- zwar kein Einfluss besteht, aber diese totalitäre Systeme richtig beschreiben
- totalitäre System streben eben gerade keinen Endzustand an
Verhindern kann man solche Systeme systemisch, durch eine entsprechende Verfassung oder durch ein entsprechendes Bildungssystem